Dystonie

Von , Arzt
und , Medizinjournalistin
Marian Grosser

Marian Grosser studierte in München Humanmedizin. Daneben hat der vielfach interessierte Arzt einige spannende Abstecher gewagt: ein Philosophie- und Kunstgeschichtestudium, Tätigkeiten beim Radio und schließlich auch für Netdoktor.

Sabine Schrör

Sabine Schrör ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie studierte Betriebswirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit in Köln. Als freie Redakteurin ist sie seit mehr als 15 Jahren in den verschiedensten Branchen zu Hause. Die Gesundheit gehört zu ihren Lieblingsthemen.

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Unter einer Dystonie versteht man unwillkürliche, lang anhaltende Muskelanspannungen. Der Grund dafür ist im zentralen Nervensystem zu finden. Die Dystonie kann als eigenständiges Krankheitsbild (primäre/idiopathische Dystonie) auftreten oder andere Erkrankungen begleiten (sekundäre Dystonie), zum Beispiel Parkinson, Chorea Huntington oder Schlaganfall. Lesen Sie hier alles Wichtige über Dystonie - Definition, Formen, Symptome, Ursachen, Diagnose und Behandlung.

dystonie

Kurzübersicht

  • Was ist Dystonie? Lang anhaltende Bewegungsstörung mit nicht willentlich steuerbaren Muskelkontraktionen. Kann zu Fehlstellungen einzelner Körperteile führen.
  • Formen: Einteilung nach diversen Kriterien, z.B. in primäre/idiopathische Dystonie (ohne erkennbare Auslöser), sekundäre Dystonie (Symptom anderer Erkrankungen), segmentale/fokale Dystonie (einzelne Muskelgruppen betroffen), Hemidystonie (eine Körperhälfte betroffen), generalisierte Dystone (gesamter Körper betroffen), zervikale Dystonie (Hals- bzw. Nackenmuskulatur betroffen), Blepharospasmus (Lidkrampf) etc.
  • Symptome: wiederholte, lang anhaltende, unwillkürliche Bewegungen zum Beispiel des Kopfes oder der Hände und Finger, Zittern (Tremor), manchmal Schmerzen, Fehlhaltungen, später Gelenkschäden, Bewegungseinschränkungen.
  • Ursachen: bei primärer Dystonie unbekannt (wahrscheinlich Fehlleistung bestimmter Hirnareale; auch erbliche Ursache möglich). Ursachen der sekundären Dystonie z.B. Parkinson-Krankheit, Chorea Huntington, Gehirnentzündung, Gehirntumor, Schlaganfall, Sauerstoffmangel bei der Geburt, Stoffwechselstörungen, bestimmte Medikamente.
  • Wann zum Arzt? Grundsätzlich bei den ersten Anzeichen einer Dystonie.
  • Diagnose: anhand der individuellen Krankengeschichte und des klinischen Erscheinungsbilds. Bei Verdacht auf sekundäre Dystonie spezifische Untersuchungen, um zugrundeliegende Erkrankung zu identifizieren.
  • Therapie: Heilung ist nicht möglich. Symptome lassen sich aber mit Medikamenten und operative Eingriffe lindern.

Dystonie: Definition

Eine Dystonie ist eine Bewegungsstörung. Die Betroffenen leiden unter unwillkürlichen, also nicht willentlich steuerbaren Muskelkontraktionen. Diese können zu Fehlstellungen einzelner Körperteile führen. 

Anders als bei Muskelkrämpfen dauern die Muskelspannungen bei Dystonie lange an. Zudem haben sie einen völlig anderen Ursprung: Während Muskelkrämpfe durch kurzzeitige Störungen im Muskel selbst entstehen, beruht eine Dystonie wahrscheinlich auf einer Fehlleistung jener Hirnareale, die für die Bewegungskoordination zuständig sind (Basalganglien).

Dystonien können bereits bei Kindern und Jugendlichen auftreten oder sich erst im Erwachsenenalter zeigen.

Dystonie: Formen

Mediziner unterscheiden je nach Entstehung folgende Dystonie-Formen:

  • primäre (idiopathische) Dystonie: Sie hat keinen erkennbaren Auslöser und tritt unabhängig von anderen Erkrankungen auf. Demzufolge ist sie ein eigenständiges Krankheitsbild.
  • sekundäre Dystonie: Sie begleitet andere (Grund-)Erkrankungen. Knapp die Hälfte aller Dystonien zählt zur sekundären Form.
  • erblich bedingte Dystonien: Sie werden je nach Lehrmeinung entweder als eigenständige Gruppe betrachtetet (heredodegenerative Dystonien) oder aber den primären Dystonien zugeordnet.

Dystonien lassen sich außerdem anhand der betroffenen Körperareale kategorisieren:

  • segmentale/fokale Dystonie: Hierbei sind einzelne Muskelgruppen betroffen.
  • Hemidystonie: Wirkt sich auf eine ganze Körperhälfte aus.
  • generalisierte Dystonie: Hierbei ist der gesamte Körper betroffen. Oft zeigen sich zunächst nur segmentale/fokale Symptome, die sich dann später auf den ganzen Körper ausweiten.

Unter den primären Dystonien bilden die fokalen/segmentalen Dystonien bei Erwachsenen die Mehrheit.

Psychovegetative Dystonie: Keine klassische Dystonie

Eine psychovegetative Dystonie hat mit der klassischen Dystonie im neurologischen Sinne nichts zu tun. Denn hier ist das vegetative Nervensystem betroffen, nicht das zentrale. Das vegetative Nervensystem reguliert zum Beispiel Blutdruck, Atemfrequenz und Verdauung. Kommt es hier zu einer Fehlsteuerung, können Symptome wie Nervosität, Unruhe, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Schwindelgefühl, flache Atmung und Kopfschmerzen auftreten.

Der Begriff der psychovegetativen (oder auch vegetativen) Dystonie ist allerdings wissenschaftlich umstritten. Manche Experten bezeichnen die psychovegetative Dystonie schlicht als "Verlegenheitsdiagnose".

Dystonie: Beispiele

Eine Dystonie kann grundsätzlich jede Muskelgruppe betreffen. Entsprechend vielfältig sind die Erscheinungsformen. Typische Vertreter einer fokalen Dystonie sind zum Beispiel:

  • zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus): Hier ist ein Teil der Hals- bzw. Nackenmuskulatur betroffen, wodurch der Kopf schief steht („Schiefhals“).
  • Blepharospasmus (Lidkrampf): Betroffene müssen in kurzen Abständen die Augen zusammenkneifen. In extremen Fällen droht die Erblindung.
  • oromandibuläre Dystonie (Mund-, Zungen-, Schlundkrampf): Hier verkrampft die Muskulatur der unteren Gesichtshälfte (Kiefer, Zunge, Mund). Den Betroffenen fällt das Essen und Sprechen schwer.
  • Meige-Syndrom: Eine Kombination aus Blepharospasmus und oramandibulärer Dystonie.
  • spasmodische Dysphonie (Stimm-/Sprechkrampf): Hierbei streikt die Kehlkopfmuskulatur. Die Patienten stöhnen häufig und geben gepresste Laute von sich. In schweren Fällen können sie die Stimme komplett verlieren.
  • Gliederdystonie (Schreib-/Beschäftigungskrampf): Bei erlernten, komplexen Bewegungsabläufen (wie Schreiben oder Musizieren) verkrampfen Arme und Hände.

Die beschriebenen Formen sind nicht gleich häufig. Blepharospasmen und Gliederdystonien treten beispielsweise häufiger auf als spasmodische und oromandibuläre Dystonien.

Eine besondere Dystonieform ist das sogenannte Segawa-Syndrom (Dopa-responsive Dystonie), das sich meist schon im Kleinkindalter zeigt. Typisch ist eine ausgeprägte Einwärtsstellung der Füße. Im fortgeschrittenen Stadium können die Betroffenen schließlich nicht mehr laufen. "Dopa-responsiv" bedeutet, dass sich das Krankheitsbild deutlich verbessert, wenn die Betroffenen Medikamente mit dem Wirkstoff L-Dopa einnehmen. Bei anderen Dystonieformen wirkt diese Substanz jedoch nicht.

Dystonie: Symptome

Die unwillkürlichen, lang anhaltenden Muskelkontraktionen treten oft zusammen mit sich wiederholenden Bewegungen auf, zum Beispiel:

  • Der Kopf wird immer wieder krampfhaft zur Seite geneigt
  • Verdrehen von Hand und Fingern zu schraubenartigen Bewegungen
  • Schnelles Zittern (Tremor) der betroffenen Körperteile, wie man es auch von der Parkinson-Krankheit kennt
  • Schmerzen bei stark ausgeprägter Dystonie
  • Gelenkschäden infolge der andauernden Fehlstellungen, später Bewegungseinschränkungen

Dystonie: Ursachen

Je nachdem, um welche Dystonieform es sich handelt, können unterschiedliche Ursachen für die Erkrankung verantwortlich sein.

Ursachen einer primären Dystonie

Wie eine primäre Dystonie genau entstehen, ist derzeit nicht bekannt. Man geht aber davon aus, dass bestimmte Hirnbereiche, die sogenannten Basalganglien, für die Bewegungsstörungen verantwortlich sind.

Die Basalganglien regulieren vor allem unbewusste Bewegungen. Man vermutet, dass dortige Fehlleistungen zu unkontrollierten Muskelkontraktionen führen können. Dafür spricht auch, dass Erkrankungen oder Verletzungen der Basalganglien häufig Dystonien auslösen.

Bei einigen primären Dystonien konnten zudem genetische Zusammenhänge nachgewiesen werden. Für die meisten Formen sind jedoch keine erblichen Ursachen bekannt.

Ursachen einer sekundären Dystonie

Es gibt viele neurologische Erkrankungen oder Schädigungen des zentralen Nervensystems, die eine Dystonie nach sich ziehen können. Auch bei diesen sekundären Dystonien sind es vermutlich die Basalganglien, die fehlgesteuerte Muskelbewegungen verursachen.

Zu den möglichen Auslösern einer sekundären Dystonie zählen beispielweise:

  • Parkinson-Krankheit: Neben den typischen Symptomen wie Muskelstarre, Bewegungslosigkeit und Muskelzittern, können auch Dystonien vorkommen.
  • Chorea Huntington: Diese erbliche Gehirnerkrankung zerstört schrittweise das sogenannte Striatum - ein Teil der Basalganglien.
  • Gehirntumore
  • Gehirnentzündung (Enzephalitis)
  • Schlaganfall
  • Sauerstoffmangel bei der Geburt (perinatale Hypoxie)
  • Stoffwechselstörungen wie Morbus Wilson (Kupferspeicherkrankheit)

Eine Dystonie kann außerdem als Langzeitnebenwirkung bestimmter Medikamente auftreten. Dazu gehören vor allem Psychopharmaka sowie Arzneimittel, die auf das zentrale Nervensystem wirken. Man spricht dann von einer tardiven Dystonie. Zu den typischen Auslösern gehören klassische Neuroleptika, mit denen etwa Schizophrenie therapiert wird. Sehr viel seltener sind dagegen Antidepressiva, Antihistaminika (Antiallergie-Medikamente) und Mittel gegen epileptische Anfälle (Antikonvulsiva) für Dystonien verantwortlich.

Auch einige Aufputschmittel können Dystonien verursachen.

Optische Reize wie grelles Licht, bestimmte Bewegungen oder Stress können die Symptome einer Dystonie auslösen oder verstärken. Sie sind jedoch jedoch nicht mit der eigentlichen Ursache zu verwechseln.

Dystonie: Verlauf

Dystonien verlaufen sehr unterschiedlich - je nach Ursache und individueller Konstitution der Betroffenen. So kann eine primäre Dystonie heftig und mit starken Schmerzen beginnen und im Lauf der Jahre abklingen. Sie kann sich aber auch langsam entwickeln und mit der Zeit stärker werden.

Ähnliches gilt für die sekundäre Dystonie; sie verläuft meist parallel zur Entwicklung der Grunderkrankung.

Eine generalisierte Dystonie beginnt meist in einer Muskelgruppe und weitet sich erst nach und nach auf den ganzen Körper aus.

Dystonie: Wann sollten Sie zum Arzt?

Obwohl eine Dystonie anfangs nicht unmittelbar gesundheitsgefährdend ist, sollten Betroffene schon bei ersten Anzeichen einen Arzt aufsuchen (Hausarzt oder Neurologe). Denn je eher mit einer passenden Therapie begonnen wird, desto mehr lässt sich die Lebensqualität steigern. Außerdem ist es wichtig, die eventuell ursächliche Grunderkrankung zu erkennen und zu behandeln.

Dystonie: Was macht der Arzt?

Der Arzt wird zunächst die Form, gegebenenfalls die Ursache und das Ausmaß der Dystonie ermitteln. Danach kann er eine passende Behandlung einleiten.

Untersuchungen

Es gibt keine speziellen Untersuchungen oder Tests, mit denen sich eine Dystonie nachweisen lässt. Deshalb stützt sich der Arzt für die Diagnose auf das klinische Erscheinungsbild und den Ausschluss anderer Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen.

Die erste Quelle zur Diagnosefindung ist die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) im Gespräch mit dem Patienten beziehungsweise den Eltern (bei betroffenen Kindern). Wichtig sind hier zum Beispiel folgende Informationen:

  • Alter des Patienten
  • bei Kindern: Geburtsverlauf und bisherige Entwicklung
  • vorausgegangene Erkrankungen und Verletzungen
  • ggf. Medikamente, die der Patient einnimmt
  • ähnliche Erkrankungen in der Familie

Darüber hinaus kann der Mediziner spezielle Untersuchungen durchführen, um die Krankheit zu identifizieren, die einer sekundären Dystonie zugrunde liegt.

Besonders bei einer beginnenden Dystonie ist die korrekte Diagnose schwierig, da die Symptome noch relativ unspezifisch sein können. Außerdem drohen Verwechslungen mit anderen Erkrankungen. So sind zum Beispiel die typischen Tics beim Tourette-Syndrom den Symptomen einer Dystonie sehr ähnlich.

Behandlung

Dystonien werden medikamentös oder operativ behandelt. Zusätzlich können Entspannungsübungen, Krankengymnastik und orthopädische Maßnahmen helfen.

Medikamente

Die wichtigsten Wirkstoffe der medikamentösen Therapie bei Dystonie sind:

  • Botulinumtoxin (Botox): Dieses von Bakterien gebildete Nervengift wird lokal gespritzt. Es entspannt die betroffene Muskulatur und reduziert die Krämpfe. Die Wirkung hält einige Monate an. Dann ist eine erneute Spritze nötig. Botulinumtoxin wird hauptsächlich bei fokalen und segmentalen Dystonien eingesetzt.
  • Anticholinergika: Diese Medikamente wirken auf das vegetative Nervensystem und verbessern bei vielen Dystonie-Patienten die Symptome. Ihre Anwendung muss aber streng überwacht werden, da sie mit vielen Nebenwirkungen verbunden sein kann.
  • Benzodiazepine, Antiepileptika, L-Dopa: Eine Behandlung mit diesen Wirkstoffen kann versucht werden, wenn der Patient nicht auf die Behandlung mit Botulintoxin oder Anticholinerika anspricht.

Operation

Wenn die Medikamente nicht (ausreichend) helfen, kommt ein operativer Eingriff in Betracht:

  • Bei der selektiven peripheren Denervierung durchtrennt der Chirurg die Nervenäste, die den betroffene Muskel zur Bewegung anregen.
  • Bei der tiefen Hirnstimulation wird eine stimulierende Sonde in die Basalganglien-Region gelegt.

Ob Medikamente, Operation oder sonstige Therapiemaßnahmen - eine Dystonie ist nicht heilbar. Mit der passenden Behandlung lassen sich aber die Symptome deutlich bessern, was die Lebensqualität der Patienten steigert.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autoren:
Marian Grosser
Marian Grosser

Marian Grosser studierte in München Humanmedizin. Daneben hat der vielfach interessierte Arzt einige spannende Abstecher gewagt: ein Philosophie- und Kunstgeschichtestudium, Tätigkeiten beim Radio und schließlich auch für Netdoktor.

Sabine Schrör
Sabine Schrör

Sabine Schrör ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie studierte Betriebswirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit in Köln. Als freie Redakteurin ist sie seit mehr als 15 Jahren in den verschiedensten Branchen zu Hause. Die Gesundheit gehört zu ihren Lieblingsthemen.

Quellen:
  • Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und in der Schweiz: "Was sind Dystonien?", unter www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de (Abruf: 25.02.2020)
  • Deutsche Dystonie Gesellschaft e. V.: www.dystonie.de (Abruf: 25.02.2020)
  • Diener, H.-C. & Weimar, C. (Hrsg.): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Georg Thieme Verlag, 2012
  • Pschyrembel Online, Klinisches Wörterbuch: www.pschyrembel.de (Abruf: 25.02.2020)
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