Immunsystem bei Kindern

Von , Medizinredakteurin
Sabrina Kempe

Sabrina Kempe ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Biologie studiert und sich dabei besonders in die Molekularbiologie, Humangenetik und Pharmakologie vertieft. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinredakteurin in einem renommierten Fachverlag hat sie Fachzeitschriften und eine Patientenzeitschrift betreut. Jetzt verfasst sie Beiträge zu Medizin- und Wissenschaftsthemen für Experten und Laien und redigiert wissenschaftliche Fachbeiträge von Ärzten.

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Kinder kommen mit einem unreifen Immunsystem auf die Welt. Sie sind deshalb anfälliger für Infektionen. Lernen Sie hier mehr über das Immunsystem bei Kindern und wie Sie es bei seiner natürlichen Entwicklung hin zu einer starken Immunabwehr unterstützen können.

Wie kann ich das Immunsystem meines Kindes stärken?

Kinder - vor allem Säuglinge und Kleinkinder - machen durchschnittlich bis zu zwölf Infekte pro Jahr durch. Mit jedem Infekt lernt das Immunsystem des Kindes einen neuen Erreger kennen und findet einen Weg, diesen zu bekämpfen. Auf diese Weise wird die Körperabwehr trainiert und entwickelt sich weiter. Dies führt zu einer schrittweisen Stärkung des Immunsystems des Kindes. Mit folgenden Tipps können Sie diesen Prozess gezielt unterstützen.

Gesunde Lebensweise in der Schwangerschaft

Bereits in der Schwangerschaft können Sie das Immunsystem Ihres Ungeborenen stärken, indem Sie:

  • sich gesund ernähren,
  • Stress vermeiden,
  • nicht rauchen und
  • keinen Alkohol trinken.

Denn alle diese Faktoren haben Einfluss auf die Entwicklung des Immunsystems beim Kind: Eine ungesunde Lebensweise in der Schwangerschaft schädigt das kindliche Immunsystem langfristig und leistet chronischen Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Fettleibigkeit (Adipositas), Asthma und Allergien Vorschub.

Wenn möglich, natürlich entbinden

Eine wichtige Rolle für das Immunsystem spielt die natürliche Mikroben-Besiedelung (Mikrobiom) auf der Darmschleimhaut (Darmflora), auf anderen Schleimhäuten und auf der Haut. Sie kann verhindern, dass sich vor Ort krankmachende Keime ansiedeln. Die Darmflora hilft zudem beim Verdauen der Nahrung und stellt Vitamine bereit.

Wie das Mikrobiom eines Kindes zusammengesetzt sein wird, entscheidet sich bereits mit dem Geburtsweg. Denn die Mikroben, mit denen der Säugling als allerstes Kontakt hat, können sich am besten ansiedeln: Kommt das Neugeborene auf natürlichem Wege - also vaginal - auf die Welt, wird seine Haut zunächst mit Mikroorganismen der Vaginalflora der Mutter bedeckt. Bei Kaiserschnittbabys machen das Hautkeime der Mutter. Und diese ersten Keime beeinflussen dann auch die Darmflora des Kindes. Die Folge:

Per Kaiserschnitt geborene Kinder haben ein erhöhtes Risiko für Allergien, Asthma, Fettleibigkeit (Adipositas) und entzündliche Darmerkrankungen. Wenn es also möglich und medizinisch vertretbar ist, sollten schwangere Frauen versuchen, natürlich zu entbinden.

Ist ein Kaiserschnitt unvermeidbar und mussten Sie Antibiotika unter der Geburt bekommen, können Sie die Darmflora Ihres Babys nach der Geburt mit probiotischen Tropfen unterstützen. Lassen Sie sich hierzu von Ihrem Kinderarzt beraten.

Stillen – früh beginnen und lange durchhalten

Auch das Stillen fördert eine optimale Darmflora und somit ein gesundes Immunsystem beim Kind. Entscheidend dafür sind Humane Milch-Oligosaccharide (HMO). Sie bilden - nach Milchzucker (Laktose) und Fetten - den drittgrößten festen Bestandteil der Muttermilch. HMO fördern das Wachstum der nützlichen Bifidobakterien, stärken die kindliche Darmschleimhaut gegenüber Krankheitserregern, beseitigen sogar Krankheitskeime und unterstützen das Immungleichgewicht.

Forschern ist es gelungen, einige der mehr als 200 verschiedenen HMO der Muttermilch künstlich herzustellen. Ob die Zugabe dieser HMO zu Formulanahrungen für Babys im gleichen Maße gesundheitsfördernd ist wie der natürliche HMO-Anteil in der Muttermilch, wird noch intensiv untersucht.

Zusätzlich enthält Muttermilch die ideale Mischung aller wichtigen Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente, die Ihr Baby braucht. Darüber hinaus finden sich in der Muttermilch bioaktive Komponenten. All diese Stoffe fördern das gesunde Wachstum des Kindes und die Entwicklung eines starken Immunsystems.

Wann beginnen und wie lange stillen?

Besonders wichtig ist es, gleich nach der Geburt eines Kindes mit dem Stillen zu beginnen. Zwar produzieren die Brustdrüsen dann noch keine cremig weiße Muttermilch, aber die gelbliche Vormilch (Kolostrum). Jeder Tropfen davon ist unheimlich kostbar für das Neugeborene! Das Kolostrum enthält nämlich hochkonzentriert alle wichtigen nahrhaften Inhaltsstoffe. Außerdem ist es entscheidend für die Infektionsabwehr:

  • Bis zu zwei Drittel der Zellen im Kolostrum sind weiße Blutkörperchen (Leukozyten). Sie bilden Antikörper, die Bakterien und Viren neutralisieren.
  • Zudem enthält das Kolostrum einen besonderen Antikörpertyp, das sIgA (sekretorisches Immunglobulin A). Es legt sich wie ein Schutzfilm auf die Schleimhäute im Magen-Darm-Trakt und in den Atemwegen des Neugeborenen und schützt dort vor Infektionserregern, mit denen bereits die Mutter Kontakt hatte.
  • Das Kolostrum enthält präbiotische Bestandteile, die das Wachstum der nützlichen Bakterien im kindlichen Körper unterstützen. Mehr dazu lesen Sie im Beitrag Präbiotika.

Nicht nur frühzeitiges Stillen stärkt die Abwehrkräfte Ihres Kindes, auch langes Stillen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, neben der Beikost zwei Jahre oder länger zu stillen. Denn die Muttermilch passt sich im Laufe der Zeit in ihrer Zusammensetzung an die Bedürfnisse des Kindes an. Sie enthält zum Beispiel mehr Antikörper und weiße Blutkörperchen, wenn Mutter oder Kind mit einem Erreger infiziert sind.

Längeres Stillen schützt das Kind auch gegen Infektionen der unteren Atemwege, Ohrinfektionen, Durchfall, Typ-1-Diabetes und Übergewicht. Forscher vermuten sogar, langes Stillen könnte das Risiko für Krebsarten wie akute lymphatische Leukämie und Hodgkin-Lymphom senken.

Auch die Mutter profitiert vom Stillen: Je länger sie stillt, desto geringer ist ihr Risiko für Brust-, Gebärmutter- und Eierstockkrebs, Herzkrankheiten, Schlaganfall und Typ-2-Diabetes.

Keine übertriebene Hygiene

Um das Immunsystem zu stärken, sollten Kinder keiner übertriebenen Hygiene ausgesetzt sein. Durch unsere moderne hygienische Lebensweise nimmt nach Expertenmeinung die Vielfalt an Keimen in der Umgebung und im menschlichen Körper ab. Das entstandene Ungleichgewicht des Mikrobioms verändert auch das Immunsystem und begünstigt so wahrscheinlich die Entwicklung von Allergien und chronisch entzündlichen Erkrankungen.

Deshalb ist es ist nicht sinnvoll, Kinder mit übertriebener Sauberkeit vor Keimen zu schützen. Stattdessen ist gesundes Mittelmaß bei der Hygiene wichtig. Einige Beispiele dazu:

  • Die Wohnung muss nicht perfekt von Staub befreit sein, Bad und Küche sollten allerdings regelmäßig geputzt werden - vor allem dort können sich nämlich gefährliche Keime wie Durchfallerreger breit machen.
  • Kinder sollten sich möglichst nicht aus der gleichen Trinkflasche trinken. Sich ein Spielzeug zu teilen, ist dagegen eher unbedenklich.
  • Ständiges Händewaschen und Desinfizieren sind nicht nötig. Nach dem Toilettengang, dem Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel sowie vor dem Essen sollten sich Kinder (und Erwachsene) aber immer die Hände gründlich waschen.

Ungünstig ist auch eine falsche Hautpflege. Sie kann die Mikrobiombarriere auf der Haut gegen krankmachende Keime stören. Für eine gesunde Hautbarriere sollten Sie die Haut Ihres Kindes schonend reinigen und möglichst milde, pH-neutrale Reinigungsmittel verwenden.

Dürfen Erwachsene den Schnuller des Kindes ablutschen?

Kontrovers diskutiert wird, ob Eltern den Schnuller oder Löffel ihres Babys bzw. Kleinkindes in den Mund stecken dürfen. Zahnmediziner warnen davor, damit keine Kariesbakterien von den Eltern auf die Kinder übertragen werden - tatsächlich kann auf diese Weise eine unbehandelte Karies auf das Kind übertragen werden.

Achten Eltern aber auf eine gute Mundhygiene bei sich und ihren Kindern sowie eine gesunde, zuckerarme Ernährung beim Nachwuchs, dann könnten Keime auf dem Schnuller die kindliche Mundflora positiv beeinflussen und ein wichtiges Immunsystemtraining sein. So zeigen Untersuchungen: Lutschen Eltern den Schnuller öfters ab, entwickeln 18 Monate alte Kinder seltener allergisch bedingte Ekzeme und Asthma, als Kleinkinder, deren Eltern den Schnuller nie in den Mund nahmen und ihn stattdessen wuschen oder abkochten.

Raus in die Natur

Der regelmäßige Aufenthalt in der Natur kann das Immunsystem stärken - bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen. Gehen Sie mit Ihrem Kind am besten täglich hinaus in die Natur. Damit ermöglichen Sie ihm Kontakt zu neuen Keimwelten, was seine Abwehrkräfte trainiert. Darüber hinaus kann Ihr Nachwuchs sich im Freien gut austoben und Stress abbauen - beides wichtige Bausteine zur Stärkung des Immunsystems Ihres Kindes.

Ziehen Sie Ihr Kind in der kalten Jahreszeit warm genug an, vor allem an Kopf, Hals, Unterleib und Füßen. Damit beugen Sie Erkältungen oder Blasenentzündungen vor. Im Sommer sollten Sie auf einen ausreichenden Sonnenschutz achten, um Sonnenbrand zu vermeiden.

Zusätzlich kann Ihr Kind draußen Sonnenlicht tanken, was essenziell für die Vitamin-D-Produktion und somit auch für eine intakte Immunabwehr ist. Für Säuglinge reicht das Sonnenlicht nicht aus, um genügend Vitamin D zu bilden, weshalb sie ein entsprechendes Präparat bis zum zweiten Lebensjahr erhalten. Gesunde Kinder über zwei Jahren benötigen ein Vitamin-D-Präparat dagegen nur in besonderen Fällen (etwa bei chronischen Magen-Darm-Erkrankungen).

Geben Sie Ihrem Kind nicht eigenmächtig ein Vitamin-D-Präparat, sondern besprechen Sie dies vorab mit dem Kinderarzt.

Kontakt zu Tieren

Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, entwickeln seltener Asthma oder allergische Erkrankungen. Den Grund dafür vermuten Wissenschaftler in der Keimvielfalt dieser Umgebung. Den gleichen Effekt können scheinbar auch Haustiere haben. Ob der Kontakt zu Haustieren nun aber vor Allergien schützt oder sie im Gegenteil fördert, ist unterschiedlich. Kinder mit einem erhöhten Risiko für Allergien, weil mindestens ein Elternteil eine allergische Erkrankung hat, sollten jedenfalls keine Katze als Haustier haben. Die Haltung von Hunden gilt Experten zufoolge in solchen Fällen dagegen als unproblematisch bezüglich des Allergierisikos.

Kontakt zu anderen Kindern

Kinder brauchen Kinder – und das nicht nur aus sozialer, sondern auch aus immunologischer Sicht. So haben Kinder mit vielen Geschwistern eine stärkere Immunabwehr und weniger Allergien.

Ähnlich verhält es sich bei Kindern, die eine Kinderkrippe und einen Kindergarten besuchen statt hauptsächlich zuhause betreut zu werden. Denn im Kontakt mit anderen Kindern lernt das Immunsystem neue Keime kennen und erweitert sein immunologisches Gedächtnis. Infiziert sich das Kind erneut mit einem bekannten Krankheitserreger, kann sein Immunsystem dann effektiver reagieren. Auch wenn also Kinder in den ersten drei Wintern in der Kindertagesstätte oft eine Erkältung nach der anderen haben, profitiert langfristig ihr Immunsystem. Es ist also nicht sinnvoll, Kinder aus Angst vor Erkältungen von anderen Menschen abzuschotten.

Hinzukommt, dass es die Abwehrkräfte Ihres Kindes stärkt, wenn es sich wohlfühlt, viel mit anderen lacht, spielt, singt, tanzt und kuschelt.

Gehen aber gefährlichere Krankheiten wie schwere Magen-Darm-Infekte, Grippe oder wie derzeit COVID-19 um, ist ein Abstand zu anderen Menschen bis zum Abflachen der Krankheitswelle sinnvoll. Infizierte Person im Umfeld des Kindes sollten auf die nötigen Hygienemaßnahmen achten.

Vielseitig ernähren und ausreichend trinken

Eine vielseitige Ernährung schützt das Mikrobiom im Darm. Bieten Sie Ihrem Kind vor allem frisches Obst und Gemüse sowie Vollkornprodukte, Fisch und pflanzliche Fette an. Damit erhält es genügend Ballaststoffe, Vitamine und immunwirksame Nährstoffe. Das kann zu einer gesunden Darmflora beitragen und die Abwehrkräfte stärken.

Ihr Kind sollte zudem über den Tag verteilt genügend trinken (am besten stilles Wasser oder auch mal Kräutertee), damit die Schleimhäute nicht austrocknen. Im Winter ist der Flüssigkeitsbedarf durch Kälte und Heizungsluft sogar noch erhöht. Fehlt den Schleimhäuten Feuchtigkeit, klappt der Abtransport von Viren und Bakterien schlechter - man ist anfälliger für Infekte.

Da das Immunsystem Toleranz gegenüber Nahrungsmitteln erst erlernen muss, wird in der Leitlinie für Allergieprävention empfohlen, ein Baby vier Monate lang voll zu stillen (wenn das nicht möglich ist mit hypoallergener Säuglingsnahrung) und danach mit der Beikost anzufangen und parallel weiter zu stillen, wenn auch mit der Zeit weniger. Früher als allergieauslösend verteufelte Lebensmittel wie Kuhmilch, Fisch oder Eier sollten nicht vermieden werden – außer natürlich es besteht bereits eine entsprechende Allergie.

Natürliche Helfer für das Immunsystem können für Erwachsene sinnvoll, für Kinder aber gefährlich sein: So sollten Kinder unter 10 Monaten keinen Knoblauch erhalten. Kinder unter einem Jahr dürfen keinen Honig bekommen. Auch Echinacea und Nahrungsergänzungsmittel mit Zink oder Vitamin C sind für den Nachwuchs nicht zu empfehlen (außer auf ärztlichen Rat).

Passivrauch verhindern

Verzichten Sie auf das Rauchen in der Umgebung von Kindern. Denn Nikotin ist Gift für den Körper, fördert Krebserkrankungen, beeinträchtigt die Funktion von Zellen und Organen und schwächt das Immunsystem. Bitte bedenken Sie dabei auch, dass sich der Rauch in der Wohnung und in der Kleidung festsetzt.

Gesund schlafen

Um das Immunsystem zu stärken, sollten Kinder (ebenso wie Erwachsene) ausreichend schlafen. Im Schlaf kann sich das Immunsystem erholen. Das senkt das Risiko für Infektionskrankheiten.

Kalte Güsse, Sauna und Kneipptherapie

Nicht nur Erwachsene, auch Kinder können ihr Immunsystem stärken, indem sie sich regelmäßig mit kalten Güssen und Sauna „abhärten“. Der Nachwuchs sollte dazu aber nicht gezwungen werden, sondern freiwillig mitmachen. So können Sie Ihr Kind mit in die Sauna nehmen, wenn Sie ein paar Regeln beachten:

  • anfangs maximal fünf Minuten, auf der unteren Bank und für maximal zwei Gänge
  • nicht mit kalten Füßen in die Sauna
  • vor dem Abkühlen mit kaltem Wasser kurz an die frische Luft gehen und dann an den Beinen mit kaltem Guss beginnen
  • vor und nach dem Saunagang viel trinken

Auch können Kinder schon abgeschwächte Formen der Kneipp-Therapie ausprobieren. Sie können beispielsweise regelmäßig barfuß gehen, auch mal für zwei bis fünf Minuten im nassen Gras, im Morgentau und für Mutige für einige Sekunden bis maximal zwei Minuten im Schnee oder in einem kalten Bach. Danach müssen die Füße aber wieder gut aufgewärmt werden. Wer friert oder fröstelt, sollte allerdings nicht am Tau-, Wasser- oder Schneetreten teilnehmen! Möglich sind ebenso kalte Güsse, vorsichtig und behutsam angewendet an Unterarmen und Beinen bis kurz übers Knie.

Bei einer Erkältung, Harnwegsinfektion und vor allem bei Fieber sollte man auf kalte Güsse, Sauna sowie Kneipptherapie verzichten!

Impfempfehlungen einhalten

Bestimmte Infektionskrankheiten können vor allem Kindern sehr gefährlich werden (wie Masern oder Mumps). Gegen einige dieser Erkrankungen sind Impfungen verfügbar. Sie schützen vor den jeweiligen Krankheitserregern und können in den meisten Fällen einen Krankheitsausbruch verhindern. Lassen Sie Ihre Kinder daher regelmäßig nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts impfen. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist ein vollständiger Impfschutz besonders wichtig.

Immunsystem beim Kind: Unterschiede zu Erwachsenen

Kinder sind anfälliger für Infektionskrankheiten als Erwachsene, denn sie werden mit einem unreifen und demzufolge zunächst schwächeren Immunsystem geboren. Zwar sind bereits alle nötigen Immunzellen von Geburt an vorhanden, aber sie müssen ihre Aufgaben erst erlernen:

Körperfremde Stoffe bekämpfen

Das unreife kindliche Immunsystem muss zunächst lernen, zwischen körperfremden (potenziell gefährlichen) und körpereigenen (wahrscheinlich ungefährlichen) Stoffen zu unterscheiden. Körperfremde und als gefährlich eingestufte Stoffe wie Viren, Bakterien oder Pilze bekämpft der Körper dann mit einer passenden Immunantwort.

Dabei sind für ein Neugeborenes beziehungsweise dessen Immunsystem zunächst alle Erreger noch völlig neu. Es muss jeden Keim erst einmal kennenlernen und trainieren, sich gegen ihn zu wehren. Die gewonnenen Kenntnisse werden "gespeichert", sodass das Immunsystem beim zweiten Kontakt mit dem betreffenden Keim schon etwas schneller reagieren kann. Der Aufbau dieses immunologischen Gedächtnisses braucht aber Zeit.

Körpereigene Stoffe tolerieren

Körpereigene Zellen und auch ihm bekannte Nahrungsmittel lässt das Immunsystem im Normalfall in Ruhe. Diese Immuntoleranz ist sehr wichtig. Passieren hierbei Fehler, können nämlich Krankheiten entstehen. Stuft das Immunsystem zum Beispiel harmlose Pollen oder bestimmte Nahrungsmittel als Krankheitserreger ein und begehrt gegen sie auf, entwickeln sich Allergien. Bekämpft der Körper irrtümlich körpereigene Zellen, sind Autoimmunerkrankungen die Folge.

Wann ist das kindliche Immunsystem ausgereift?

Die Entwicklung des Immunsystems startet bereits in der zwölften Woche im Mutterleib und erstreckt sich bis zum 18. Lebensjahr. Selbst bei Erwachsenen verändert es sich noch in bestimmten Lebensphasen. Im Großen und Ganzen erreicht die Funktion des Immunsystems aber im fünften Lebensjahr ungefähr das Niveau von einem Erwachsenen.

Wie funktioniert das (kindliche) Immunsystem?

Das Immunsystem lässt sich in einen angeborenen (unspezifischen) und einen adaptiven (spezifischen) Teil gliedern.

Zum unspezifischen Immunsystem gehören die keimabhaltenden Barrieren wie Haut und Schleimhäute. Durchbricht ein Mikroorganismus diese Grenze, trifft er auf Fresszellen (Makrophagen und Granulozyten). Diese können - wie der Name schon vermuten lässt - den Eindringling in sich aufnehmen und töten oder ihn mit chemischen Waffen (z.B. eiweißauflösenden Enzymen) angreifen. Unterstützt werden die Fresszellen von einem System aus Proteinen (Komplementsystem), die den Keim direkt zerstören oder weitere Fresszellen anlocken können.

Schafft das unspezifische Immunsystem es nicht, den Eindringling zu eliminieren, hält es ihn so lange in Schach, bis die über chemische Botenstoffe (Zytokine, Chemokine) herbei beorderte und aktivierte Zellen des spezifischen Immunsystems eingetroffen sind. Zu diesen spezifischen Immunzellen gehören unter anderem die Antikörper-produzierenden B-Zellen und die T-Zellen (beides Vertreter der sogenannten Lymphozyten). Sie können individuelle Strukturen (Antigene) des Eindringlings erkennen und bei Bedarf dagegen vorgehen:

Die zytotoxischen T-Zellen können die Eindringlinge direkt eliminieren. B-Zellen stellen hingegen spezifische Antikörper dagegen her, die an den Antigenen andocken und den "Feind" so für die T-Zellen und die Zellen des unspezifischen Immunsystems markieren.

Unspezifische Immunzellen vorhanden, aber unreif

Bei der Geburt sind zwar bereits genügend Zellen des unspezifischen Immunsystems vorhanden. Sie funktionieren aber noch nicht im gleichen Umfang wie bei Erwachsenen und sind daher noch nicht voll einsatzfähig.

Darüber hinaus stehen bei Babys deutlich weniger Vorläuferzellen der Fresszellen zur Verfügung. Die Folge: Benötigt der Körper in kurzer Zeit viele dieser Abwehrzellen (z.B. bei einer Sepsis), werden sie wesentlich langsamer rekrutiert als bei Erwachsenen.

Schwaches spezifisches Immunsystem ist anfangs wichtig

Für einen Fetus im Mutterleib ist es überlebenswichtig, ein abgeschwächtes spezifisches Immunsystem zu haben. So kann dieses nicht gegen die für körperfremden Antigene der Mutter reagiert und gegebenenfalls ein vorzeitiges Ende der Schwangerschaft auslösen. Bei Neugeborenen überwiegen also zunächst Immunzellen, die die Immunabwehr regulieren oder sogar schwächen. Erst ungefähr ab dem fünften Lebensjahr stimmt das prozentuale Verhältnis der Immunzellen zueinander ungefähr mit dem von Erwachsenen überein.

Auch für die Besiedlung des Darms mit körperfremden, aber für die Entwicklung des Immunsystems nützlichen Mikroorganismen (Mikrobiom), ist die erhöhte Toleranzbereitschaft des Immunsystems von Säuglingen und Kleinkindern wichtig.

Nestschutz

Als Ausgleich für die anfangs schwache Körperabwehr hat die Natur zumindest in den ersten sechs Lebensmonaten vorgesorgt: Das geschwächte bzw. unreife Immunsystem der Kinder stärken Antikörper der Mutter, die während der Schwangerschaft über die Plazentaschranke in den kindlichen Körper übergetreten sind. Sie werden zwar als Fremdstoffe im Laufe der Zeit abgebaut, stärken bis dahin aber die Immunabwehr des Säuglings.

Dieser Nestschutz kann durch das Stillen verlängert werden: Wie oben beschrieben, enthält die Muttermilch Abwehrstoffe, die ebenfalls das Immunsystem von Kindern stärken.

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Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Sabrina Kempe

Sabrina Kempe ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Biologie studiert und sich dabei besonders in die Molekularbiologie, Humangenetik und Pharmakologie vertieft. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinredakteurin in einem renommierten Fachverlag hat sie Fachzeitschriften und eine Patientenzeitschrift betreut. Jetzt verfasst sie Beiträge zu Medizin- und Wissenschaftsthemen für Experten und Laien und redigiert wissenschaftliche Fachbeiträge von Ärzten.

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