Impfstoffknappheit

Von , Arzt
Florian Tiefenböck

Florian Tiefenböck hat Humanmedizin an der LMU München studiert. Im März 2014 stieß er als Student zu NetDoktor und unterstützt die Redaktion seither mit medizinischen Fachbeiträgen. Nach Erhalt der ärztlichen Approbation und einer praktischen Tätigkeit in der Inneren Medizin am Uniklinikum Augsburg ist er seit Dezember 2019 festes Mitglied des NetDoktor-Teams und sichert unter anderem die medizinische Qualität der NetDoktor-Tools.

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Hin und wieder kommt es zu Lieferengpässen bei Medikamenten. Das kann auch Impfstoffe betreffen. Die Ständige Impfkommission empfiehlt in solchen Fällen verschiedene Vorgehensweisen. Dadurch sollen vor allem diejenigen eine Impfung bekommen, die sie am dringlichsten brauchen. Lesen Sie hier, was eine Impfstoffknappheit verursachen kann und wen Ärzte dann vorrangig impfen.

Impfstoff

Impfstoffknappheit: Warum sind Impfungen wichtig?

Impfstoffe sind neben Hygienemaßnahmen das wichtigste Mittel im Kampf gegen Infektionskrankheiten. Durch weltweite Impfkampagnen konnten beispielsweise die Pocken ausgerottet werden. Auch die Kinderlähmung (Polio) oder die Masern wurden durch Impfungen erfolgreich eingedämmt.

Impfungen haben grundsätzlich zwei Ziele:

  • Der Schutz des Geimpften (Individualschutz)
  • Der Schutz der Mitmenschen durch Herdenimmunität (Gemeinschaftsschutz): Eine geimpfte Person ist vor der Erkrankung zumindest für eine gewisse Zeit geschützt und kann dadurch auch andere nicht anstecken.

Durch den Gemeinschaftsschutz sind somit auch diejenigen weniger gefährdet, die nicht geimpft sind. Besonders wichtig sind Impfungen für Säuglinge und Kleinkinder, bestimmte Berufsgruppen sowie für chronisch Kranke und Senioren. Sie sind oft anfälliger und erkranken meist schwerer an bestimmten Infektionen.

Damit diese Ziele aber erreicht werden können, ist es wichtig, dass Menschen die Impfungen zeitgerecht (z.B. richtiges Alter) erhalten. Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) hat deshalb Impfempfehlungen aufgestellt. Sie sagen aus, wogegen, zu welchem Zeitpunkt und wie oft eine Person geimpft werden sollte.

Impfstoffknappheit: Ursachen

Manchmal gibt es nicht mehr genug Impfstoffe, um die Empfehlungen der STIKO umzusetzen. Die Impfstoffknappheit kann verschiedene Gründe haben:

Erhöhte Nachfrage: Gerade in Krisenzeiten wie die Sars-CoV-2-Pandemie im Jahr 2020 sind mehr Menschen als sonst an Impfungen interessiert. Auch wenn Länder ihre Impfempfehlungen ändern, kann das zu einer erhöhten Nachfrage und damit zu einer Impfstoffknappheit führen.

Erhöhter Verbrauch: In manchen Krisen steigt nicht nur die Nachfrage, sondern auch der Bedarf und damit der Verbrauch von Impfstoffen. Ein Beispiel ist die europäische Flüchtlingsbewegung 2015: Viele Betroffene aus Ländern ohne klare Impfregelungen wurden geimpft, was eine Impfstoffknappheit nach sich zog.

Lieferengpässe: Immer wieder ist die Produktion und Lieferung eines Impfstoffs gestört. Beispielsweise verursachen Betriebsunfälle, regionale Probleme wie Kriegshandlungen oder eine weltweite Krise wie die Corona-Pandemie Impfstoffknappheiten durch Lieferschwierigkeiten.

Impfstoff vom Markt genommen: Hin und wieder entscheidet sich ein Hersteller dazu, seinen Impfstoff vom Markt zu nehmen. Grund dafür sind beispielsweise erhöhte Qualitätsanforderungen, etwa an die Produktionsstätte.

Zu hohe Kosten: Steigende Medikamentenpreise lassen vor allem in ärmeren Ländern gewisse Impfstoffe knapp werden.

Zu wenig Gewinn: Impfstoffe bringen Pharma-Unternehmen zuweilen nur wenig Geld ein – gemessen an den Entwicklungs- und Herstellungskosten. Dann stellen zu wenig Firmen zu wenig Impfungen her. Ist die Nachfrage dennoch groß, entsteht eine Impfstoffknappheit.

Zuständige Behörde

In Deutschland teilt das Paul-Ehrlich-Institut mit, wenn ein Impfstoff knapp ist. Den Lieferengpass melden die Pharma-Unternehmen selbst. Sie informieren die Behörden, wenn die Lieferkette eines Impfstoffs für mindestens zwei Wochen unterbrochen ist.

Wie viele Impfungen zum Zeitpunkt der Meldung noch verfügbar sind, wird aber nicht zentral erfasst. Oftmals gibt es noch Bestände im Apothekengroßhandel, in Kliniken, in Arztpraxen oder in Apotheken vor Ort. Das tatsächliche Ausmaß einer Impfstoffknappheit lässt sich dadurch oft nur schwer einschätzen.

Impfstoffknappheit: Was tun?

Ist ein Impfstoff knapp, müssen Ärzte mit den restlichen, noch verfügbaren Impfungen sinnvoll haushalten. Hilfestellung bietet die STIKO. Die Experten empfehlen bei Impfstoffknappheit generell:

Alternative Impfstoffe verwenden: Ist der eigentlich zugelassene Impfstoff nicht verfügbar, greifen Ärzte auf ähnliche Impfstoffe zurück. Diese werden beispielsweise für die betroffene Altersgruppe nicht standardmäßig angewendet, sind aber ebenfalls wirksam.

Einzel- statt Kombinationsimpfstoffe: Sind Kombinationsimpfstoffe Mangelware, verwenden Ärzte stattdessen einzelne Impfungen gegen die jeweiligen Krankheiten. Der Patient muss dann zwar mehrere Impfungen über sich ergehen lassen, ist dafür aber trotzdem geschützt. Sind nur für einen Teil der eigentlichen Kombinationsimpfung Einzelimpfstoffe verfügbar, spritzen Ärzte diese trotzdem. Die übrigen werden dann später nachgeholt.

Niedrigvalente statt hochvalente Impfstoffe: Manche Impfungen wirken gegen verschieden Typen eines einzelnen Erregers. Ein bekanntes Beispiel: Die Pneumokokken-Impfung für Kinder. Hier gibt es einen Impfstoff, der gegen 13 Pneumokokken-Varianten wirkt (PCV13), und einen, der zehn Varianten abdeckt (PCV10). Ist dann PCV13 nicht verfügbar, wählen Ärzte PCV10.

Auffrischimpfungen verschieben: Auffrischimpfungen erneuern einen möglicherweise abgeschwächten Immunschutz. Bei Impfstoffknappheit finden diese Wiederholungen später statt. Aber keine Angst: Bei vielen besteht noch eine ausreichende Schutzwirkung - auch über den Auffrischungstermin hinaus.

Jede Impfung zählt: Sind noch Restbestände etwa in einer Arztpraxis vorhanden, werden diese auch verabreicht. Das gilt auch, wenn absehbar ist, dass die nächste Gabe einer Impfserie aufgrund der Impfstoffknappheit nicht gegeben werden kann. Bei vielen Impfungen bauen die Geimpften schon nach der ersten Immunisierung eine Abwehr auf. Die übrigen Gaben erfolgen vor allem, um den Immunschutz lang anhaltend zu stärken und damit auch diejenigen geschützt sind, bei denen die erste Impfung noch nicht ausreichend gewirkt hat.

Impfstoffknappheit: Wer bekommt Impfungen?

Generell sind Impfungen für alle wichtig. Doch im Falle von Impfstoffengpässen müssen Ärzte entscheiden, wem sie die Restbestände verabreichen. Auch hier liefert die STIKO eine Entscheidungshilfe. Demnach sollte in absteigender Reihenfolge geimpft werden:

  1. Sicher ungeimpfte Personen (dabei Wahl eines Impfstoffes, der möglichst viele Erreger abdeckt)
  2. Haushaltsangehörige von Risikopersonen (Kokon-Strategie)
  3. Auffrischimpfungen von Vorschulkindern
  4. Auffrischimpfungen von Jugendlichen
  5. Auffrischimpfungen von Erwachsenen

Impfstoffknappheit: Spezielle Empfehlungen

Die STIKO-Experten geben nicht nur allgemeine Hinweise. Sie aktualisieren auch regelmäßig ihre spezifischen Tipps bei Impfstoffknappheit bestimmter Impfstoffe.

Impfstoffknappheit: Gürtelrose-Impfung

Die mangelnde Impfstoffverfügbarkeit betrifft hier einen Totimpfstoff gegen die Gürtelrose (Herpes zoster) und damit verbundene Nervenschmerzen. Mediziner empfehlen die Impfung allen Menschen ab 60 Jahren, Risikogruppen wie chronisch Kranken schon ab 50. Die Gürtelrose-Impfung besteht aus zwei Impfgaben im Abstand von zwei bis sechs Monaten.

Ist der Gürtelrose-Impfstoff knapp, empfiehlt die STIKO, die noch vorhandenen Impfpräparate einzusetzen, um begonnene Impfserien zu vervollständigen. Die erste Impfgabe erfolgt demnach nur, wenn sicher ist, dass trotz Impfstoffknappheit auch die zweite Immunisierung erfolgen kann.

Impfstoffknappheit: HPV-Impfung

Gegen Humane Papillomaviren (HPV) gibt es einen Totimpfstoff, der gegen neun HPV-Typen wirkt. Die STIKO empfiehlt die HPV-Impfung allen Mädchen und Jungen im Alter zwischen neun und vierzehn Jahren. Sie besteht aus zwei Impfdosen im Abstand von fünf Monaten. Ist der Abstand kürzer oder sind die Kinder älter als 14 Jahre, dann raten die Experten sogar zu drei Spritzen.

Fehlt nun dieser Impfstoff, verabreichen Ärzte die restliche Impfung vorrangig ungeimpften Kindern. Die STIKO empfiehlt dabei, die Kinder aufgrund einer besseren Immunantwort möglichst früh und zunächst nur einmal zu impfen. Die weiteren Impfgaben erfolgen dann, sobald der Impfstoff wieder verfügbar ist. Denkbar ist auch, einen alternativen Impfstoff zu verwenden, der gegen zwei HPV-Typen wirkt.

Impfstoffknappheit: MMRV-Impfung

Beim ersten Impftermin gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen teilen Ärzte die Impfung auf – zumindest, wenn es um die Grundimmunisierung bei Kindern geht. An einer Körperstelle verabreichen sie die MMR-Impfung, an einer anderen die Windpocken-Impfung. Bei der zweiten Impfung verwenden Mediziner jedoch einen Kombinationsimpfstoff gegen alle vier Erreger (MMRV).

Im Falle einer Impfstoffknappheit gibt es einen Vorteil: In Deutschland sind zwei MMRV-Impfungen verfügbar. Kann nun eine nicht mehr geliefert werden, weichen Ärzte auf die andere aus. Betrifft der Engpass beide Vierfach-Impfstoffe, dann spritzen Ärzte wie bei der ersten Impfgabe getrennt – einmal einen Impfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und zeitgleich eine Impfung gegen Windpocken an einer anderen Körperstelle.

Impfstoffknappheit: Pneumokokken-Impfung

Kinder erhalten üblicherweise drei Impfungen im Alter zwischen zwei und 14 Monaten. Ärzte verwenden dabei einen Impfstoff gegen 13 Pneumokokken-Typen (PCV13). Erwachsene bekommen standardmäßig ab 60 Jahren einmalig eine Pneumokokken-Impfung gegen 23 Subtypen (PPSV23). Sonderregeln gelten bei Risikogruppen.

Die Impfung gegen die Erreger von Lungen-, Mittelohr- oder Hirnhautentzündungen wurde aber gerade in Krisenzeiten schon oft Mangelware. Dann empfiehlt die STIKO:

  • Pneumokokken-Konjugatimpfstoff PCV13: Er soll ausschließlich für die Grundimmunisierung bei Säuglingen bis zum Alter von zwei Jahren verwendet werden. Ist der Impfstoff nicht erhältlich, soll stattdessen der 10-valente Konjugatimpfstoff (PCV10) verabreicht werden.
  • Pneumokokken-Polysaccharidimpfstoff (PPSV23): Er soll vorrangig Menschen mit Immunschwäche, Senioren ab 70 Jahren sowie Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen verabreicht werden.

Impfstoffknappheit: Tetanus/Diphterie/Pertussis/Polio-Impfung

Die Grundimmunisierung gegen die Krankheiten erfolgt bereits im Kleinkindalter – zusammen mit den Impfungen gegen Haemophilus influenzae B und Hepatitis B. Ärzte spritzen dabei viermal einen Sechsfachimpfstoff. Gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis gibt es zusätzliche Impfstoffe, da hier Auffrischimpfungen nötig sind. Auch gegen Polio erfolgt eine Wiederholung im Jugendalter – meist zusammen mit der Impfung gegen die anderen drei Erreger.

Gerade diese Auffrischimpfstoffe wurden in den letzten Jahren immer wieder knapp. Allerdings gibt es eine Reihe verschiedener Kombinations- und Einzelimpfstoffe, die Ärzte stattdessen geben können. Dabei achten sie auch auf so wenig Pikser wie möglich. Auch die STIKO rät zu möglichst breit wirksamen Kombinationsimpfstoffen.

Ist die Impfstoffknappheit behoben, gelten die üblichen Impfempfehlungen der STIKO. Diese können Sie in unserem Impfkalender nachlesen.

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Florian Tiefenböck hat Humanmedizin an der LMU München studiert. Im März 2014 stieß er als Student zu NetDoktor und unterstützt die Redaktion seither mit medizinischen Fachbeiträgen. Nach Erhalt der ärztlichen Approbation und einer praktischen Tätigkeit in der Inneren Medizin am Uniklinikum Augsburg ist er seit Dezember 2019 festes Mitglied des NetDoktor-Teams und sichert unter anderem die medizinische Qualität der NetDoktor-Tools.

Quellen:
  • Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V.: „Impfstoffknappheit“, Stand Februar 2017, unter: www.dgpi.de (Abrufdatum: 09.06.2020)
  • Nationale Lenkungsgruppe Impfen mit Impfempfehlungen, unter: www.nali-impfen.de (Abrufdatum: 08.06.2020)
  • Paul-Ehrlich-Institut zu Impfstoffen, unter: www.pei.de (Abrufdatum: 09.06.2020)
  • Robert Koch-Institut: „Epidemiologisches Bulletin 14/2016“
  • Robert Koch-Institut, Ständige Impfkommission STIKO: „Impfkalender“, 22. August 2019
  • Robert Koch-Institut zur eingeschränkten Verfügbarkeit von Impfstoffen, unter: www.rki.de (Abrufdatum: 09.06.2020)
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