Junge Frau am Meer

Long Covid: Die vergessenen Patienten

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Ursprünglichkeit war Rieke nur leicht an Corona erkrankt. Doch jetzt kommt die Studentin seit Monaten nicht mehr richtig auf die Beine. Wie ihr geht es Hunderttausenden – Hilfe gibt es kaum.

März 2020: Die Sonne scheint, der Schnee knirscht unter den Brettern. Rieke und ihr Freund Ben, beide Studenten aus Kiel, sind zum Skifahren in Tirol. Doch der Urlaub endet vorzeitig: Alle Gäste müssen abreisen, hastig abgelegte Skier türmen sich vor den Verleihen.

Es herrscht Chaos in St. Anton, einem Örtchen, das 15 Kilometer Luftlinie von Ischgl entfernt liegt - jenem Skiort, der sich kurz darauf als paneuropäische Corona-Drehscheibe entpuppt. Das Coronavirus hat sich in den österreichischen Skiorten ausgebreitet: Die Saison wird vorzeitig und abrupt beendet.

„Wir haben uns beide angesteckt“, erzählt Rieke im Gespräch mit NetDoktor. Schon im hastig gebuchten Zug in den Norden hätten sie gehustet. Rieke und ihr Freund durchlebten einen grippeartigen Verlauf von Covid-19, der noch in die Kategorie „leicht“ fällt: Was das bedeuten kann, machen sich viele nicht klar – Fieber, Husten, schlimme Kopf- und Muskelschmerzen, Schüttelfrost.

Luftnot beim Spazierengehen

Doch während Ben nach gut zweieinhalb Wochen wieder sein gewohntes Leben aufnehmen kann, mit Studium und Sport, kommt Rieke nicht so recht auf die Beine. Auch heute, 15 Monate nach der Infektion, ist sie noch immer nicht gesund.

Vor der Infektion ist sie viermal pro Woche gejoggt, jetzt kann sie sich beim Spazierengehen mit einer Freundin kaum unterhalten: „Laufen oder reden – für beides gleichzeitig habe ich nicht genug Luft“, berichtet sie.

Durch ihr Studium des Kommunikationsdesigns schleppt sie sich irgendwie durch. Sie belegt weniger Kurse als geplant, muss sich jeden Tag mittags hinlegen, um überhaupt durch den Tag zu kommen. „Der Lockdown war für mich ehrlich gesagt ein Glück“, sagt sie. Ohne die Onlineseminare hätte sie das Studienjahr überhaupt nicht bewältigen können.

Ein halbes Jahr verbringt sie in weiten Teilen im Bett und auf der Couch. Ihr Asthma verschlechtert sich nach der der Coronainfektion rapide. Welche Symptome noch von der Infektion kommen und welche dem Asthma geschuldet sind, kann sie nicht auseinanderhalten.

„Hilfesuchende rennen mir die Bude ein“

Jördis Frommhold, Reha-Medizinerin am Klinikum Heiligendamm, kennt Fälle wie Rieke: Menschen, die vergleichsweise leicht an Covid-19 erkrankt waren, aber noch Monate später mit erheblichen Beeinträchtigungen kämpfen: mit Atemnot und extremer Erschöpfung, aber auch, anders als Rieke, mit Symptomen wie massiven Konzentrationsproblemen, dem sogenannten „brain fog“, oder Haarausfall. Frommhold bezeichnet sie neben den vollständig Genesen und jenen, die schwer erkrankt waren, als „dritte Gruppe“.

„Die Hilfesuchenden rennen mir inzwischen die Bude ein“, berichtet Frommhold im Gespräch mit NetDoktor. Schon jetzt betrage die Wartezeit für einen Klinikplatz in Heiligendamm sieben Monate. Um auf die Problematik aufmerksam zu machen, ist die Reha-Medizinerin seit Monaten in Fernsehformaten von Maischberger bis Tagesschau unterwegs.

Hunderttausende sind betroffen

Denn unter dem Radar von Öffentlichkeit und Politik hat sich längst eine Corona-Welle der anderen Art gebildet. Mindestens jeder zehnte Covid-19-Patient hat ersten Untersuchungen zufolge noch sechs Monate nach der Infektion Symptome. Als „Long Covid“ oder „Post Covid-Syndom“ bezeichnen Mediziner die Spätfolgen der Infektion. In Deutschland wären davon schon jetzt rund 350.000 Menschen betroffen. „Doch das ist nur eine Schätzung, es könnten auch doppelt so viele sein“, sagt Frommhold. Viele Betroffene fielen durch die Maschen, weil die Hausärzte und auch Fachärzte der Problematik noch ratlos gegenüberstünden.

Ratlose Ärzte, hilflose Patienten

Auch Rieke ist das passiert. Als sie sich auch Wochen nach der Infektion nicht erholt, geht sie zum Lungenfacharzt. Doch auch für Pneumologen ist Covid-19 im Frühsommer 2020 noch unbekanntes Terrain. „Der hatte auch keinen Plan“, berichtet Rieke. Die Lunge würde schon von allein ausheilen, das brauche seine Zeit, ist alles, was er ihr zum Trost mit auf den Weg geben kann. Heute ginge es ihr zwar schon deutlich besser als vor einem Jahr, „aber jetzt geht es irgendwie nicht mehr voran.“

„Inzwischen haben wir dazugelernt“, sagt Frommhold. Die gute Nachricht ist: In den meisten Fällen lassen sich im Rahmen der Reha schnell deutliche Verbesserungen erzielen. Das Lungenvolumen der Patienten ist sogar nach schweren Verläufen oft erstaunlich gut. Es hapert eher an der Atemtechnik: „Viele haben sich eine falsche Atmung angewöhnt.“

Dem könne man mit gezielten Atemübungen entgegenwirken, wie man sie ähnlich auch aus der Asthmabehandlung kenne. Ergänzend haben sich Techniken als hilfreich erweisen, die die Atemhilfsmuskulatur entspannen. Mit der verbesserten Atmung bessern sich dann auch weitere Symptome wie schwere Konzentrationsstörungen und tiefe Erschöpfung.

Kaum Angebote für Long Covid-Patienten

Das Problem ist nur: Es gibt kaum Angebote - insbesondere für die ambulante Therapie. Speziell Patienten, die Covid-19 zuhause auskuriert haben, fallen da durchs Raster. „Diese Patienten finden keine Anlaufstellen, das ist tragisch“, so Frommhold.

Es gibt zwar inzwischen viele Covid-Ambulanzen an Kliniken – doch die versorgen überwiegend ihre vormals stationären Patienten. „Manche können da unterschlüpfen“, berichtet die Reha-Medizinerin. Doch die Plätze seien begrenzt. Ein echtes Versorgungskonzept für Long-Covid- Patienten gibt es nicht. „Was wir brauchen, sind schnellstmöglich Kompetenzzentren, die für alle Patienten zugänglich sind.“

Abgehängt nach dem Lockdown?

Auch Rieke könnte durch eine solche Reha-Therapie endlich wieder zur alten Energie zurückfinden, ist Frommhold überzeugt. Stattdessen ist die junge Frau weiterhin ausgebremst. Während die Lockerungen den Menschen um sie herum eine Last von den Schultern nehmen, sieht Rieke es mit gemischten Gefühlen. „In den letzten Monaten konnte keiner groß was machen, da ist es nicht so aufgefallen, dass ich so viel zuhause war.“

Nach dem Lockdown, wenn das Leben für alle wieder richtig los geht, wird es für Menschen wie Rieke deshalb erst richtig bitter. Vor allem fürchtet sie das Ende der Onlineseminare. „Einen ganzen Tag in der Uni – das könnte ich zwar irgendwie überstehen.“ Im Anschluss aber wäre sie erstmal für Tage sehr erschöpft. Viele Freunde könnten zudem nicht verstehen, wie schlecht es ihr tatsächlich geht. „Die sagen dann, das kenne ich, ich bin auch immer müde – tatsächlich fühlt sich das aber völlig anders an.“

Der hohe Preis der Untätigkeit

Frommhold berichtet, sie werde auf ihrer Aufklärungsmission häufig gefragt, wie hoch denn die Kosten seien, die durch die Reha auf die Rentenkassen zukämen. „Das weiß ich nicht. Ich bin Arzt, kein Wirtschaftswissenschaftler“, sagt sie dann. Was ihr viel mehr Gedanken machen würde, seien die Kosten, die entstünden, wenn man den Patienten mit Long Covid kein Therapieangebot macht. „Dann kommen ganz andere Probleme auf uns zu.“

Wenn nämlich von den Hunderttausenden Betroffenen viele nicht in ihre Leistungsfähigkeit zurückfänden und vielleicht dauerhaft arbeitsunfähig blieben. Neben der individuellen menschlichen Tragödie wäre das für die gesamte Gesellschaft ein riesiges Problem.

Eines steht jedenfalls schon jetzt fest: Auch wenn die Pandemie irgendwann beendet ist, bleibt noch viel zu tun. Auch für Jördis Frommhold und ihr Team in Heiligendamm.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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