Sprinterin

„Den Stoffwechsel wieder aus dem Keller locken“

Alle NetDoktor.de-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Mit Diäten kann man seinen Stoffwechsel gründlich ruinieren – der brennt dann nur noch auf Sparflamme. Im NetDoktor-Interview erklärt Prof. Ingo Froböse, wie man ihn wieder auf Touren bringt.

Herr Prof. Froböse, in Ihrem neuen Buch* behaupten Sie, Diäten machen dick. Wie das?

Diäten basieren fast immer auf dem gleichen Konzept: einer pauschalen Kalorienreduktion. Wer so eine macht, treibt seinen Körper in eine Hungersnot: Das Gehirn und die inneren Organe erhalten zu wenig Nähr- und Vitalstoffe. Darauf reagiert der Organismus mit einem Notprogramm:  Er fährt seinen Bedarf herunter und baut energiefressende Strukturen wie Muskeln ab, damit er kostengünstiger über die Runden kommt.

Das bedeutet, der Körper kommt dann mit weniger Nahrung aus.

Richtig. Ich hatte mal eine Dame bei mir in der Sprechstunde, die hatte sich über Diäten so abgewirtschaftet, dass sie nur noch 850 Kilokalorien täglich essen konnte, um nicht wieder zuzunehmen. So sehr hatte sie ihren Körper zum Sparen gezwungen!  Und dieser Effekt hält weit über die Dauer der Diät an, manchmal bis zu zwölf Monate. Der Körper hat Angst vor der nächsten Hungersnot und spart sicherheitshalber weiter. Bekommt er dann mehr, weil Sie wieder normal essen, legt er den Energieüberschuss als Notreserven an. Vor allem in Form von Fett – der berühmte  Jo-Jo -Effekt. Der Stoffwechsel ist also lernfähig. Die gute Nachricht ist: Wir können ihn auch in die positive Richtung drehen.

Was muss ich tun, um meinen schlummernden Stoffwechsel wieder aufzuwecken?

Als Erstes müssen Sie Ihrem Körper seinen Grundbedarf wiedergeben, damit er nicht mehr hungert. Der errechnet sich aus der Körpergröße in Zentimetern minus Hundert, multipliziert mit 24. Ein Mensch von 1,70 Meter Körpergröße hat also einen Grundbedarf von fast 1700 Kilokalorien am Tag. Ist der Stoffwechsel im Keller, liegt der Grundbedarf allerdings niedriger. Wir korrigieren ihn darum in den ersten Wochen noch um den Faktor 0,8 für Frauen und um 0,9 für Männer nach unten. Das wären dann etwa 1350 beziehungsweise 1500 Kilokalorien.

Übergewichtige Menschen haben also keinen höheren Grundbedarf  als schlanke?

Nein, und das liegt daran, dass Übergewichtige so viel passive Masse haben. Fettzellen haben keinen nennenswerten Kalorienbedarf. Ganz anders Muskelzellen: Von denen verbrennt jedes Kilo 50 Kilokalorien am Tag – auch in Ruhe. Das klingt erst mal nicht viel – übers Jahr gerechnet summiert sich das aber ganz erheblich. Das Ziel beim Abnehmen ist, Fett  durch Muskelmasse zu ersetzen. Auf diese Weise verändere ich meinen Stoffwechselmotor so, das er rund um die Uhr mehr Sprit verbraucht. Er bekommt gewissermaßen mehr Hubraum.

Das klingt nach Arbeit.

Abnehmen ist kein Zuckerschlecken, das stimmt. Dazu sollten Sie vier bis fünf Mal pro Woche alle großen Muskelgruppen trainieren. Da darf es schon ein bischen zur Sache gehen – die Muskeln sollten richtig brennen. Der dafür nötige Zeitaufwand ist allerdings nicht besonders groß – mit etwas Übung schafft man das Zirkeltraining in neun Minuten.

Trainierte Muskeln sind aber erst die halbe Miete.

Sicher, on top kommt Ausdauertraining. Dafür sollten Sie drei bis viermal wöchentlich  30 bis 45 Minuten einplanen. Durch ein solches Ausdauertraining tune ich meinen Stoffwechselmotor. Die Anzahl der Mitochondrien in der Muskelzelle steigt. Mitochondrien sind winzige Kraftwerke, die die Zelle mit Energie versorgen. Trainierte haben beispielsweise die doppelte Anzahl an Kraftwerken in ihren Muskelzellen wie untrainierte. Mehr PS bedeuten automatisch einen höheren Energieverbrauch.

Und das reicht?

Nicht ganz. Genauso wichtig wie der Sport sind die Alltagsbelastungen, auf die ich immer wieder hinweise. Die liegen mir besonders am Herzen.  Wir wissen mittlerweile, dass Sitzen ein eigenständiger Risikofaktor ist und den Stoffwechsel in den Keller rauschen lässt. Wichtiger als trainieren ist darum, dass Sie sich stündlich oder wenigstens zweistündlich aktivieren - durch Stehen, Gehen, Treppensteigen. So halten Sie den Stoffwechsel auf einem höheren Niveau  und geben ihm einen eigenen Trainingsreiz.

Nun mal Klartext:  Wie schnell nehme ich auf diese Weise ab?

Ein halbes Kilo pro Woche ist realistisch – so geht das Abnehmen auch nicht auf Kosten der Muskulatur. Sie müssen sich vorstellen: Ein Kilogramm Körperfett entspricht 7000 Kilokalorien. Fünf Kilogramm Fett pro Monat kriegen Sie einfach nicht verbrannt, das funktioniert nicht.

Das Abnehmen dauert also ein bisschen – ganz kurzfristige Erfolge darf man nicht erwarten. Man hat sich seine Kiste ja auch nicht innerhalb von zwei Monaten angefuttert, sondern in 10 bis 15 Jahren. Aber wenn ich mich darauf einlasse, dann locke ich den Stoffwechsel nachhaltig aus dem Keller und brauche nie wieder eine Diät.

Nicht nur Übergewichtige wollen abnehmen. Auch schlanke Menschen hungern, um dem Schönheitsideal zu entsprechen.

Gesund ist das nicht! Schauen sie sich mal die Beine von diesen Damen an, da sind ja kaum noch Muskeln dran. Die haben ihre Muskeln auf dem Altar der Schlankheit geopfert. Was absolut gefährlich ist! Mageren Menschen fehlen nämlich die Myokine. Das sind enzymähnliche Stoffe, die ausschließlich von der Muskulatur ausgeschüttet werden. Sie aktivieren die inneren Organe:  die Leber, das Gehirn, die Nieren – alles! Diesen lebenswichtigen Stimulus  verlieren Menschen, die sich die Muskeln weghungern. Das heißt, sie degenerieren nicht nur ihre Muskeln, sondern auch die Funktionstüchtigkeiten ihrer inneren Organe. Muskelschwund ist kein Kavaliersdelikt!

Herr Prof. Froböse, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Christiane Fux.

* Prof. Dr. Ingo Froböse ist Leiter des „Zentrums für Gesundheit“ und Leiter des „Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation“ an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sein aktuelles Buch „Das Turbo-Stoffwechsel-Prinzip“ ist bei Gräfe und Unzer erschienen.

Autoren- & Quelleninformationen

Jetzt einblenden
Datum :
Teilen Sie Ihre Meinung mit uns
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie NetDoktor einem Freund oder Kollegen empfehlen?
Mit einem Klick beantworten
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
0 - sehr unwahrscheinlich
10 - sehr wahrscheinlich