Junge mit Insulinpumpe

Die Bauchspeicheldrüse am Gürtel

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

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Mehrmals täglich den Blutzuckerspiegel messen. Ausrechnen, wie viel Insulin nötig ist. Richtige Dosis spritzen – und bei alldem keinen Fehler machen: Diabetes kann eine enorme Belastung sein. In den USA soll diesen Job nun die erste künstliche Bauchspeicheldrüse übernehmen. Ein Rundum-sorglos-Paket für Typ-1-Diabetiker?

Aden ist ein ganz normaler 11-jähriger Junge, der gerne mit seinen Freunden Frisbee spielt. Fast ganz normal – denn Aden besitzt zwei Buchspeicheldrüsen. Die zweite, künstliche sitzt nicht in seinem linken Oberbauch, sondern in einem schwarzen Kästchen, das er am Gürtel trägt. Denn der aufgeweckte Junge mit dem runden Gesicht und der Harry-Potter-Brille hat Typ-1-Diabetes. Das bedeutet, seine natürliche Bauchspeicheldrüse produziert kaum noch Insulin.

Aden nimmt an einer klinischen Studie in Colorado teil, die künstliche Systeme zur Insulinversorgung testet. „Im Gegensatz zu den tragbaren Insulinpumpen, die es bereits seit den 1980er-Jahren gibt, muss der Patient nicht selbst einstellen, welche Insulinmenge die Pumpe in den Körper abgeben soll“, erklärt Prof. Thomas Danne, Diabetologe an der Medizinischen Hochschule Hannover, im Gespräch mit NetDoktor. Denn die Pumpe ermittele den Bedarf laufend selbst.

Sensor am Arm

Dafür trägt Aden einen kleinen Sensor am Oberarm. Mithilfe eines winzigen Katheters, der unter der Haut im Gewebe liegt, ermittelt das Gerät alle fünf Minuten den Blutzuckergehalt aus der Flüssigkeit, die zwischen Zellen zirkuliert. Den Messwert funkt der Sensor an Adens Handy.

Das Smartphone ist die Schaltzentrale des Systems – sozusagen das Gehirn der künstlichen Bauchspeicheldrüse. Seine Software berechnet, wie viel Insulin die Pumpe am Gürtel spritzen muss, um Adens Blutzuckerspiegel möglichst konstant zu halten. Mediziner sprechen von der Basalrate, die den Insulin-Grundbedarf des Körpers deckt. Bei Aden gelangt das Hormon über einen dünnen Schlauch und einen Katheter am Bauch in den Körper.

Blutzucker im engen Korridor

Das wichtigste Ziel der künstlichen Bauchspeicheldrüse: Ein möglichst konstanter Blutzuckerspiegel. Denn jede Schwankung birgt Risiken: Steigt die Zuckerkonzentration im Blut häufig auf zu hohe Werte, schädigt das Blutgefäße und Nerven. Irreparable Augen- oder Nierenschäden, Herz-Kreislauferkrankungen, Impotenz und Amputationen drohen den Patienten. Bei Typ-1-Diabetikern ist das Risiko für Folgeerkrankungen besonders groß. Denn die bislang unheilbare Krankheit tritt oft bereits im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter auf und begleitet die Patienten ein ganzes Leben.

Aber auch niedrige Blutzuckerspiegel sind gefährlich: Bei der sogenannten Hypoglykämie bricht die Versorgung von Gehirn und Nervenzellen zusammen. Anders als andere Körperzellen sind die nämlich auf Glukose als Energiequelle angewiesen. Warnzeichen der Hypoglykämie sind Schwindel, Übelkeit, Zittern und Schweißausbrüche. Bekommt der Patient dann nicht schnellstens Zucker, drohen Bewusstlosigkeit, Krämpfe oder sogar der Tod.

Vor solchen Folgen könnte der künstliche Pankreas, wie Mediziner die Bauchspeicheldrüse nennen, schützen. Denn die stetige Messung und automatische Anpassung der Insulindosis hilft dem Patienten, die Blutzuckerkonzentration in einem engen Korridor zu halten.

Piepser warnen vor Gefahr

In den USA ist der potenzielle Lebensretter – ein Gemeinschaftsprodukt deutscher, israelischer und slowenischer Forscher – seit September 2016 auf dem Markt. Eine Zulassungsstudie mit 124 Patienten im Durchschnittsalter von 38 Jahren hatte gezeigt: Mit dem System schwankte der Blutzuckerspiegel der Probanden deutlich weniger als ohne das Hilfsmittel. Insgesamt traten nur 28 Komplikationen in einem Zeitraum von drei Monaten auf – in den meisten Fällen waren es Hypoglykämien, die dank der integrierten Alarmfunktion jedoch schnell bemerkt wurden. Das Smartphone fängt dann an zu piepsen.

Auch Aden kennt den Warnton schon: Wenn er sich beim Frisbee ordentlich anstrengt, meldet sich sein Smartphone manchmal. Sein Blutzuckerspiegel sei möglicherweise zu niedrig, steht dann auf dem Display. Aden muss kurz Pause machen, den exakten Blutzuckerwert selber messen und gegebenenfalls etwas essen.

„80 Prozent der Probanden wollten das Gerät nach der Zulassungsstudie weiter benutzen“, sagt Diabetesspezialist Danne. Die Akzeptanz sei ein deutlicher Indikator dafür, dass das System die Therapie für die Patienten erleichtere. Auch Aden ist begeistert: „Normalerweise habe ich jeden Tag insgesamt ungefähr eine halbe Stunde gebraucht, um meinen Blutzuckerspiegel zu messen und die richtige Insulinmenge zu berechnen. Jetzt kann ich in der Zeit spielen.“

Rundum-sorglos-Paket?

Ein Rundum-sorglos-Paket nach dem Motto „Anlegen – anschalten – vergessen“ ist der künstliche Pankreas, ein sogenanntes Hybrid-Closed Loop-System, aber trotzdem nicht. Der Haken steckt in der Bezeichnung „Hybrid“. Das bedeutet, es ist nur zum Teil ein autonom funktionierendes künstliches Organ („closed loop“ = geschlossener Regelkreis). Es braucht immer wieder Unterstützung von außen.

„Der Patient muss noch angeben, wann er eine Mahlzeit isst und wie viele Kohlenhydrate er dabei zu sich nimmt“, so Danne. Ist es mehr als gewöhnlich, steigt der Blutzucker so schnell an, dass die Pumpe nicht ausreichend schnell reagieren kann. Dann muss der Patient sie händisch aktivieren, um eine zusätzliche Menge Insulin, einen sogenannten Bolus, auszulösen.

Lernfähiges System

Umgekehrt kann beispielsweise Sport den Blutzuckerspiegel erheblich senken. Dann kann die von der Pumpe angegebene Insulinmenge im Körper plötzlich zu groß sein. So wie bei Aden, wenn er mit seinen Freunden Frisbee spielt. „Unterzuckerungen können mit dem Closed-Loop-System passieren“, so Danne. Die Alarmfunktion ermögliche dann aber, entsprechend zu reagieren und schnell eine kleine Menge Zucker zu sich zu nehmen.

Außerdem arbeite das künstliche Organ immer besser, je länger der Patient es trägt. „Das Gerät ist selbstlernend und kann die Insulingabe mit der Zeit immer besser an die Lebens- und Ernährungsgewohnheiten des Patienten anpassen“, erklärt Danne.

Intelligentes Nachfolgemodell

Bis es die künstliche Bauchspeicheldrüse auch in Deutschland gibt, wird es noch ein bisschen dauern. Die ersten klinischen Tests mit dem in Amerika zugelassenen System starten 2017. Danne und sein Team arbeiten aber bereits an einem Nachfolgemodell von Adens künstlichem Pankreas. Es soll zusätzlich zur Basalrate im Bedarfsfall von selbst Insulin abgeben und so eine noch präzisere Blutzuckereinstellung ermöglichen.

Außerdem könnten weitere Sensoren eingesetzt werden, die zum Beispiel den Herzschlag messen, um zu erfassen, wann der Patient Sport treibt. Dann würde die Insulindosis, die das Gerät abgibt, automatisch heruntergefahren.

Mahlzeitenerkennung über die Handykamera

Dass Aden seiner Bauchspeicheldrüse noch sagen muss, wann er zu Pommes oder Schokoriegel greift – daran wird sich nach Dannes Einschätzung vorerst noch nichts ändern. Wissenschaftler arbeiten aber daran, auch die Mahlzeitenerkennung zu automatisieren. Vielleicht wird es irgendwann sogar möglich sein, dass Aden sein Essen nur noch mit dem Handy fotografieren muss, und das Gerät errechnet dann selbst, wie viele Kohlenhydrate er gegessen hat.

Quelle: Bergenstal et al.: Safety of a Hybrid Closed-Loop Insulin Delivery System in Patients With Type 1 Diabetes, JAMA. 2016;316(13):1407-1408. doi:10.1001/jama.2016.11708

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Autor:
Andrea Bannert
Dr.  Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

ICD-Codes:
E11E10E13O24H36E12E14
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