Gesundheits-App

Im Dschungel der Gesundheits-Apps

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

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Sie motivieren, sich zu bewegen, geben Tipps zur Ernährung oder speichern Blutzuckerwerte - und sie werden immer beliebter: Health-Apps. Doch bisher fehlen einheitliche Standards und Qualitätskriterien. Birgt die schöne neue Welt der medizinischen Helferlein Gefahren?

Morgens schnurrt die Uhr am Handgelenk. Der Vibrationsalarm stupst Sebastian Müller jeden Morgen aus dem Schlaf. Doch seine intelligente Uhr kann noch viel mehr: „Ich habe fünf Stunden und elf Minuten leicht geschlafen, vier Stunden war ich in der Tiefschlafphase“, berichtet der 29-jährige Produktmanager begeistert. Über Nacht hat die intelligente Armbanduhr seinen Schlaf beobachtet und die Daten von Puls und Körperbewegung an eine App auf dem Smartphone übermittelt.

Wenn er dann zum Zähneputzen ins Bad läuft, zählt sie schon die ersten Schritte für den neuen Tag – 7000 hat er sich insgesamt vorgenommen. Selbst den Puls kann er mit dem Programm messen, indem er den Finger auf den Sucher des Smartphones legt. Der junge Mann mit dem dunklen Lockenschopf möchte sich bewusst mit seiner Gesundheit auseinandersetzen. Ein bisschen Spieltrieb ist natürlich auch dabei.

Wie Müller nutzt inzwischen jeder dritte Deutsche Smartphone-Apps zum Thema Gesundheit – das ergab eine repräsentative Umfrage des Verbraucherschutzministeriums und des IT-Branchenverbands Bitkom. Die sogenannten Health-Apps dienen aber nicht nur als Motivationshilfe und Informationsquelle, besonders chronisch Erkrankte schätzen Funktionen wie die automatische Datenübermittlung von Messgeräten via Bluetooth auf das Handy und Apps mit Tagebuchfunktion. Sie speichern beispielsweise Blutzucker- oder Blutdruckwerte, stellen deren Verläufe in Kurvenform dar und sie geben Gesundheitstipps, etwa zu Ernährung und Bewegung.

Wildwuchs ohne Standard

Der Markt boomt – inzwischen gibt es mehr als 100.000 Gesundheits-Apps in deutscher Sprache, zeigt eine Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover. Da ist es nicht leicht, das passende Programm für sich zu finden. Vermeintlich hilfreiche Apps werden nur wenige Male genutzt und bleiben dann als App-Leichen auf dem Smartphone. Bisher gibt es keine einheitlichen Qualitäts- und Sicherheitschecks für Medizin-Apps. Jeder darf ein solches Programm veröffentlichen, Kontrollen gibt es keine – der reinste Wildwuchs. „Das kann in bestimmten Fällen richtig gefährlich werden“, warnt die Medizin-App-Expertin Dr. Ursula Kramer im Gespräch mit NetDoktor. „Etwa wenn die App die mit einem Messgerät erfassten Blutzuckerspiegel analysiert und für die Insulindosis eine falsche Empfehlung gibt.“

Auch Dr. Egbert Schulz von der Deutschen Hochdruckliga e.V. sieht Risiken: Bereits eine automatische Beurteilung von Blutdruckwerten etwa in Form eines Ampelsystems in grün-gelb-rot sei problematisch. „Dadurch kann der Patient veranlasst werden, die Dosierung der Medikamente selbst zu verändern“, warnt der Mediziner. Dabei ist die Einstellung des Blutdrucks eine heikle Angelegenheit, die nur in Absprache mit dem Arzt erfolgen sollte. „Die meisten Ärzte sind eher skeptisch was den Nutzen von Health-Apps anbelangt“, bestätigt auch Kramer.

Apps auf Rezept?

Dabei könnten die Programme die Therapie erheblich verbessern. Auch Schulz sieht da Chancen: „Wenn Vitaldaten technisch übermittelt werden, ist das der Papierdokumentation durch die Patienten weit überlegen.“ So würden in den bislang genutzten Blutdrucktagebüchern nur 30 bis 70 Prozent der Werte korrekt vermerkt.

Wenn medizinische Apps in die Diagnose oder Therapie einer Krankheit eingreifen, müssen sie als „Medizinprodukte“ eingestuft werden und benötigen eine Zulassung. Das sind in Deutschland nur einige wenige Apps, weltweit ca. 200. Kann die Wirksamkeit einer App durch Studien nachgewiesen werden, könnte sie sogar durch Ärzte verschrieben und von den Krankenkassen bezahlt werden. Erste Pilotprojekte laufen, etwa mit Apps zur Therapie von Tinnitus und kindlichem Schielen.

Die Spreu vom Weizen trennen

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Um Verbrauchern im weitgehend unregulierten Markt bei der Suche nach vertrauenswürdigen Gesundheits-Apps zu helfen, hat Kramer die Internetplattform HealtOn als Wegweiser durch den Dschungel der Gesundheits-Apps ins Leben gerufen. Über 450 unabhängige App-Bewertungen befinden sich inzwischen auf dem Portal, die die Spreu vom Weizen trennen sollen.

Wer selbst beurteilen will, ob eine Gesundheitsapp etwas taugt, sollte auf bestimmte Kriterien achten, empfiehlt die Expertin: „Wichtig ist, dass ein fundiertes medizinisches Wissen hinter der App steht.“ Nutzer sollten darauf achten, dass der App-Autor fachlich qualifiziert ist und die Datenquellen angegeben sind. Eine seriöse App gibt auch immer einen Kontakt an, über den man Fragen zum Programm stellen kann.

Mangelhafter Datenschutz

Ein weiteres Indiz für die Seriosität der Produkte ist der Umgang mit den Nutzerdaten. „Eine Datenschutzerklärung haben aber nur 23 Prozent der von uns untersuchten Apps“, moniert Kramer. Tatsächlich sammeln manche Anbieter kostenloser Gesundheits-Apps Daten ihrer Nutzer und verkaufen sie dann. Dessen, und den damit verbundenen Risiken, sollten Nutzer sich bewusst sein. Doch das sind die wenigsten.

Unter Dauerbeobachtung

„Für mich ist es vor allem wichtig, dass die App leicht zu bedienen ist und sie mich optisch anspricht“, sagt auch App-Nutzer Müller. Unbehagen angesichts der akribischen Dokumentation seiner intimen Daten verspürt er nicht. Im Gegenteil: Er würde seinen Körper sogar gerne noch mehr unter die Beobachtung der Smartphone-Programme stellen. „Ich fände es spannend, wenn ich mein Essen einfach fotografieren könnte und die App würde dann automatisch erkennen: Das sind Spaghetti Bolognese.“ Lästiges Kalorieneingeben würde dann wegfallen, Fett-, Kohlenhydrat-, Eiweißanteil und Vitamingehalt würden automatisch kalkuliert. Anschließend könnte das Programm Empfehlungen für weitere Mahlzeiten ableiten oder bei zu großer Kalorienzufuhr Sport zum Ausgleich empfehlen.

Eine Utopie? App-Expertin Kramer zumindest hält es für realistisch, dass es so etwas in naher Zukunft geben könnte. „Die Auflösung der Smartphone-Kameras wird immer besser“, sagt sie. Eine solche Anwendung könnte zum Beispiel auch Diabetikern helfen, ihre Blutzuckerwerte im Griff zu behalten.

Müller jedenfalls ist vom Nutzen der Apps überzeugt: „Je mehr ich mich schon in jungen Jahren mit meiner Gesundheit auseinandersetze, umso besser gehe ich damit um.“

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Andrea Bannert
Dr.  Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

ICD-Codes:
E11E10E13O24H36E12E14
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • App-Bewertungsprotal HealthOn, Abrufdatum 19.05.2016
  • E Patient/RSD Umfrage 2016
  • Pressemeldung Deutsche Hochdruckliga e.V.: Helath-Apps auf dem Handy: Geeignet für Bluthochdruckkontrolle?, 28. April 2016
  • Pressemeldung von Bitkom und BMJV: „Am Puls der Zeit? – Wearables und Gesundheits-Apps“, 9.02.2016
  • Universität Braunschweig und Medizinische Hochschule Hannover: Charismha - Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps, 24.04.2016
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