Frau beim Faszientrining

Faszientraining - Hauptsache, es flutscht!

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

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Faszientraining mit Schaumstoffrollen und Bällen – das soll locker und schmerzfrei machen. NetDoktor-Redakteurin Andrea Bannert hat es im Selbstversuch ausprobiert.

Vor und zurück, vor und zurück - die feste Schaumstoffrolle fühlt sich unter meiner nackten Fußsohle ungewohnt an. Sie hat den Durchmesser einer Weinflasche und nennt sich „Black Role“. Ein absolutes „In-Gerät“, das aktuelle „Must-Have“ unter den Sporthilfsmitteln.

Dank eines solchen Faszientrainings wird der Körper angeblich beweglicher – und es soll Schmerzen lösen, versprechen zahlreiche Bücher zu dem Thema. Ich will wissen, was dran ist an dem Hype, und habe mich kurzerhand bei einem Workshop angemeldet. Besonders spektakulär fühlt sich die Übung für mich allerdings nicht an.

Verblüffend mehr Beweglichkeit

Nach fünf Minuten entspannten Herumrumrollens folgt die Probe aufs Exempel: Hüftbreit stehe ich mit durchgestreckten Knien da und versuche mit den Händen soweit wie möglich in Richtung meiner Füße zu kommen. Auch wenn ich sie noch nicht ganz erreiche, schaffe ich es nun einige Zentimeter tiefer zu kommen als bei meinem ersten Versuch vor der Fußrollübung. Ich bin verblüfft. Was haben meine Fußsohlen mit meinem Oberkörper zu tun?

„In unserem Inneren ist alles miteinander verbunden wie in einem Netz“, erklärt Kay Bartrow, Physiotherapeut und Faszienspezialist, der den Workshop leitet. Der Mitvierziger mit dem runden Gesicht und dem sympathischen Lächeln kennt sich mit dem Thema Faszien aus -  schließlich hat er bereits mehrere Bücher dazu geschrieben.

Fazien gehören zum Bindegewebe. In Form von Kollagen- und Elastinfasern spinnen sie sich wie silbrig-glänzende Hüllen um die Muskeln, Nerven und Organe. Sie verbinden Knochen und Gelenke und durchdringen alles, sogar das Gehirn. Auch direkt unter der Haut liegen mehrere Faszienhüllen, wie die Schichten einer Zwiebel.

Flutschendes Vergnügen

Zurück zu meinen Füßen: „Wenn wir die Faszien stimulieren, richten sie sich ordentlicher aus und saugen sich wie ein Schwamm mit neuer Flüssigkeit voll“, sagt Bartrow. Das lässt mein Bindegewebe besser flutschen. Neben Wasser besteht die Flüssigkeit in der Bindegewebsmatrix vor allem aus Hyaluronsäure. Wenn die prallen Schichten wie Seide aneinander vorbeigleiten, gelingt die Bewegung mühelos.

Zudem können sich durch den Druck, den ich beim Rollen auf die Faszien ausübe, Verklebungen lösen. Sie entstehen, wenn die Körperpolizei kleine Risse in der Faszienmatrix flickt. Man kann sich den Effekt wie folgt vorstellen: Statt Seidentüchern reibt dann grobes Leinen aneinander – es hakt und ruckelt.

Faszienkiller Schreibtisch

Aber wie entstehen die Risse in den Faszien überhaupt? Ich kann mich an gar kein Ereignis erinnern, bei dem ich mich am Oberkörper verletzt hätte. „Bei mindestens 70 Prozent aller Verletzungen des Bewegungsapparats ist das Bindegewebe involviert“, sagt Bartrow. Dazu gehörten natürlich Knochenbrüche oder Bandscheibenvorfälle, aber auch kleine Schäden, die man gar nicht wahrnimmt. Wenn etwa eine Muskelfaser reiße, zerstöre das die Bindegewebshülle gleich mit.

„Häufig entstehen Faszienschäden aber auch durch langes Sitzen am Computer“, überrascht mich Bartrow. Erwischt! Acht-Stunden Dauer-Schreiben am Rechner - bei mir keine Seltenheit. Wie bei den meisten Deutschen – auf satte sieben Stunden auf den vier Buchstaben bringen wir es im Durchschnitt. Durch die einseitige Haltung am Schreibtisch quetsche ich meine Faszien praktisch ab. „Sie können sich dann nicht mehr so gut vollsaugen“, so Bartrow. Wenn man das ausgetrocknete Gewebe dann ruckartig bewegt, entstehen schnell kleine Mikrotraumata. Die unangenehmen Folgen: winzige Verklebungen, Narben und … Schmerzen.

Das größte Sinnesorgan

„Lange dachte man, die Faszien seien nur Hüllmaterial“, sagt Bartrow. Vor gerade mal 15 Jahren machten Wissenschaftler dann eine spektakuläre Entdeckung: Wir können mit den Faszien spüren. In ihnen sitzen sogar sechs Mal mehr Nervenendigungen als in den Muskeln. Damit sind sie das größte Sinnesorgan in unserem Körper. Neben Schmerzen leiten sie auch Informationen über Druck oder die Körperhaltung ans Rückenmark und von dort ins Gehirn weiter.

Tennisball im Rücken

Mit einem Tennisball im Rücken stehe ich an der Wand. Übung zwei: Ich soll dort, wo ich Schmerzen spüre, mit meinem Eigengewicht Druck ausüben und dann den kleinen Ball langsam etwas hin und her bewegen. Es tut ganz schön weh – aber das soll es auch. Bartrow nennt das „Wohlschmerz“. Auch wenn mich zum Glück keine chronischen Rückenschmerzen plagen, fühle ich mich nach der Übung leichter und beweglicher.

Des Rätsels Lösung?

Für Schmerzen, die in den Faszien entstehen gibt es auch bereits einen Fachbegriff: das myofaszidale Schmerzsyndrom. Vielleicht die lange gesuchte Erklärung für 80 Prozent jener Rückenschmerzen, für die man bisher keine Ursache gefunden hat.

Noch ist allerdings nicht klar, ob man mit einem Faszientraining auch Schmerzen vorbeugen kann. Denn die Faszien-Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. „Schaden wird das Faszientraining jedenfalls nicht“, meint Bartrow. Er freut sich, dass der Trend Menschen in Bewegung bringt und empfiehlt mir, es mal mit Hüpfen oder Tanzen auszuprobieren. Denn federnde Bewegungen halten die Faszien ebenfalls geschmeidig. Vielleicht schaffe ich mir demnächst ein Trampolin an.

Buchtipp: Kai Bartrow: Blackroll: Faszientraining für ein rundum gutes Körpergefühl, Trias Verlag, 2014.

Autoren- & Quelleninformationen

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Autor:
Andrea Bannert
Dr.  Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

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