Kuh

Milch - Lebenselixier oder Gift im Glas?

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

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Schlagzeilen zum Thema Milch können einen das Fürchten lehren: „Ein Glas Milch kann tödlich sein“ oder „Milch fördert Krebs“. Ist da was dran? Ein Faktencheck.

Früher machte Milch „müde Männer munter“. Warb ein pausbäckiger Knabe auf der Schokolade für die „Extraportion Milch“. Stellte Oma ihren Enkeln ein Glas Milch hin - das war gut für die Knochen. Wer hingegen heute im Internet zum Thema Milch recherchiert, den packt das Gruseln: Schlagzeilen wie „Ein Glas Milch kann tödlich sein“, „Milch führt zu Osteoporose“ oder „Sechs gute Argumente, Milch zu meiden“.

Milchgegner bringen das weiße Getränk mit Volkskrankheiten wie Krebs, Typ-2-Diabetes oder Schlaganfall und Herzinfarkt in Verbindung. Aber was sagen die wissenschaftlichen Fakten? Ist es wirklich besser, auf Milch, Käse, Joghurt und Co. zu verzichten?

Nach einer fundierten Antwort auf diese Frage hat das Kompetenzzentrum für Ernährung, kurz KErn, gesucht. Fast 400 wissenschaftliche Studien zum Thema Milch haben die Ernährungswissenschaftler ausgewertet und zusammengefasst.

Frage 1: Krebs durch Milch?

Den wohl größten Schrecken verbreitet die Vorstellung, Milch könne Krebs verursachen. Große Studien, die das untersucht haben, gibt es vor allem für Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs. Zum Beispiel wurden diese Krebsarten im Rahmen der EPIC-Studie näher unter die Lupe genommen, die Daten von insgesamt 500.000 Teilnehmern in Westeuropa sammelte.

Insgesamt zeigen diese Studien, dass sich weder das Darmkrebs- noch das Brustkrebsrisiko durch den Konsum von Milch und Milchprodukten erhöht. Im Gegenteil, einige Untersuchungen lassen sogar den Schluss zu, dass Milch eine schützende Wirkung in Bezug auf diese beiden Krebsformen entfaltet.

Warum Milch vor Krebs schützen kann, können die Wissenschaftler noch nicht ganz genau erklären. Sie vermuten, dass eine ganze Reihe von Milchbestandteilen an der Krebsabwehr beteiligt sein könnten. Allen voran das Kalzium. Denn der Mineralstoff aktiviert den programmierten Zelltod, die sogenannte Apoptose. Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus, der dafür sorgt, dass entartete Zellen absterben, statt zu Tumoren heranzuwachsen. So kommt die EPIC-Studie zu dem Ergebnis, dass eine tägliche Kalziumaufnahme von 300 Milligramm das Risiko für Darmkrebs verringert. Dazu muss man 150 Milliliter Milch, 200 Gramm Joghurt oder 30 Gramm Hartkäse verzehren.

Weitere Anti-Krebs-Substanzen in der Milch sind möglicherweise die mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Sie stoppen Entzündungsprozesse. Milchproteine, wie Kaseinpeptide, fördern außerdem Abwehrmechanismen. Laut dem Ernährungsbericht 2012 reicht schon ein Glas Milch (200 Milliliter) am Tag, um einen messbaren positiven Effekt zu erzielen.

Frage 2: Sind Männer gefährdet?

Beim Prostatakrebs allerdings versagt der Schutzeffekt. Hier deuten einige Untersuchungen darauf hin, dass sehr viel Milch, und zwar mehr als ein Liter pro Tag, das Erkrankungsrisiko leicht erhöhen konnte. Je nach Studie um sieben bis 14 Prozent. Wobei der Effekt von Magermilch höher zu sein scheint als der von Vollmilch. Paradoxerweise steckt auch hinter diesem Phänomen möglicherweise das Kalzium in der Milch. Denn Forscher der Wake Forest University of Medicine an der University von Wisconsin zeigten in einer Studie, dass Männer mit einem erhöhten Kalziumwert im Blut drei Mal so häufig an Prostatakrebs erkrankten.

„Männer, die in der engeren Verwandtschaft Prostatakrebsfälle haben, sollten die Empfehlungen der Deutsche Gesellschaft für Ernährung von täglich etwa 300 Gramm Milch nicht überschreiten“, rät Professor Bernhard Watzl, Direktor des Max Rubner-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, der an der Studie mitwirkte.

Frage 3: Macht Milch die Knochen mürbe?

Eine der wichtigsten positiven Eigenschaften, die der Milch zugeschrieben wird: Sie mache groß und stark. Und das bezieht sich vor allem auf die Knochen. Aber stimmt das auch? Kritische Stimmen behaupten, wer viel Milch trinkt, bekomme eher Osteoporose oder breche sich etwas.

Tatsächlich zeigen einzelne Studien, dass in den westlichen Industrieländern, in denen auch viel Milch und Milchprodukte konsumiert werden, mehr Menschen an Osteoporose erkranken. Wahrscheinlich spielen hier aber vor allem andere Risikofaktoren eine Rolle: Denn die Menschen in diesen Ländern bewegen sich weniger und konsumieren mehr Alkohol und Zigaretten.

Hinzu kommt: Als Stubenhocker bekommen sie weniger Sonnenlicht ab und produzieren somit weniger Vitamin D, welches für die Knochenstabilität eine wichtige Rolle spielt. Einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Milchgenuss und Osteoporose- beziehungsweise Frakturrisiko konnten die Wissenschaftler dann auch tatsächlich nicht feststellen.

Tatsache ist aber, wer viel Milch trinkt, kann seine Knochendichte erhöhen. Das gilt besonders für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Ab dem 30. bis 35. Lebensjahr beginnt die Knochendichte dann wieder kontinuierlich abzunehmen. Wer bis dahin sein Skelett stabilisiert hat, hat für’s Alter vor-, wenn auch nicht ausgesorgt. Denn viele andere Faktoren können den Knochenschwund später wieder beschleunigen.

Frage 4: Verschleimt Milch Atemwege und Darm?

Milchgegner warnen außerdem vor einer Verschleimung durch das weiße Getränk. Gerade bei Asthmapatienten könne dies die Symptome verschlimmern. Die traditionelle chinesische Medizin glaubt, dass sich Milchproteine auf den Darmzotten ablagern und so die Aufnahme von Nährstoffen beeinflussen. „Wissenschaftlich haltbar sind diese Aussagen nicht“, schreiben die Experten des KErn.

Aber woher stammt dieses Vorurteil? Milch ist chemisch nichts anderes als eine Öl-in-Wasser- Emulsion, welche von Proteinen stabilisiert wird. Wenn sie mit dem Speichel im Mund in Berührung kommt, kann es sein, dass einige Proteine ausflocken. Dadurch erhöht sich die Viskosität des Speichels. Dies könne fälschlicherweise mit einer erhöhten Schleimproduktion verwechselt werden, glauben die KErn-Autoren.

Frage 5: Allergiefalle Milch?

Viele verzichten auch aus Angst vor Allergien auf Milchprodukte. „Die Allergie gegen Kuhmilch ist nicht zu verwechseln mit der Milchzuckerintoleranz“, so Watzl. Eine wirkliche Allergie gegen Kuhmilchproteine, die zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems führt, ist eher selten. 0,5 bis sieben Prozent der Kinder und 0,7 bis 1,2 Prozent der Erwachsenen sind betroffen.

„Im Unterschied dazu ist die Milchzucker-, also Laktoseintoleranz eine ungefährliche Unverträglichkeit gegenüber Milchzucker“, erklärt Watzl. Sie kommt bei 10 bis 15 Prozent der Erwachsenen vor. Geringe Mengen Milchzucker werden dann meist trotzdem vertragen. Gereiften Käse können Betroffene zum Beispiel essen, weil er nur geringe Mengen Laktose enthält.

Frage 6: Woher kommt der Imageschaden?

Bleibt die Frage, wie die Milch von der weißen Weste zum schlechten Image kam. Ein Grund dafür ist sicher die uneinheitliche Studienlage – die nicht nur Milch, sondern auch andere Lebensmittel betrifft. Das liegt zum einen daran, dass Milch, Fisch oder Kaffee komplexe chemische Gebilde sind, die anders als ein Medikament nie die exakt gleiche Zusammensetzung haben. Zudem basieren die Daten meist auf groben Einschätzungen der Probanden selbst, wie viel sie wovon gegessen haben – eine weitere Fehlerquelle.

Und anders als bei Medikamentenstudien, wo die Teilnehmer unter klinischer Dauerbeobachtung stehen, können Lebensmittelstudien durch viele andere Faktoren verfälscht werden, die man schnell übersieht. Schon hat man ein buntes Sammelsurium widersprüchlicher Ergebnisse. Erst große Übersichtstudien bringen dann Klarheit – wie hier geschehen.

Dem gegenüber steht der Hang der Menschen zur Legendenbildung: „Hinter dem Misstrauen gegenüber der Milch stecken bestimmte Ideologien und sehr subjektive, individuelle Einschätzungen“, vermutet Watzl. Im Zeitalter des Internets verbreiteten sie sich rasend schnell.

Fazit: Freispruch für die Milch

Wissenschaftlich gesicherte Daten gibt es für die Gefahr durch Milchkonsum offensichtlich nicht – auch nicht für Vorstellungen, die Milch mit dem Herz-Kreislauf-Risiko oder Diabetes in Verbindung bringen. In einem Viertel der Länder der Welt existieren nach wie vor klare Empfehlungen für Milch.

Durchschnittlich die Hälfte unseres Kalziumbedarfs decken wir über Milch und Milchprodukte. Bei den Vitaminen B2 und B12 sind es immerhin noch ein gutes Viertel. Und dann stecken in dem Kuhprodukt auch noch Zink und Jod. Oma hatte also recht: Milch ist offenbar vor allem eines: ziemlich gesund.

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Andrea Bannert
Dr.  Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

ICD-Codes:
E24M81M80E73
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Journalistenworkshop „Mythen und Fakten in der Ernährung“, Veranstalter: Kompetenzzentrum für Ernährung (Kern) und Max Rubner-Institut. 02.10.2015.
  • KErn (Kompetenzzentrum für Ernährung): Freispruch für die Milch. Ein Überblick über die aktuelle wissenschaftliche Literatur.
  • KErn (Kompetenzzentrum für Ernährung): Literaturliste zum Stand der wissenschaftlichen Forschung: Kuhmilchverzehr und dessen Einfluss auf die menschliche Gesundheit, 2014.
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