Mann raucht E-Zigarette

E-Zigaretten: Mit Volldampf aus der Sucht

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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E-Zigaretten werden hierzulande eher argwöhnisch beäugt. Dabei spricht viel dafür, dass sie den Abschied von Tabakzigaretten wirkungsvoller unterstützen als Nikotinpflaster & Co. In einem Positionspapier fordern deutsche Forscher, Suchtmediziner und Psychologen daher nun ein Umdenken.

Unter der Leitung von Prof. Heino Stöver, Suchtforscher an der Universität Frankfurt, luden sie in der vergangenen Woche im Rahmen eines Online-Symposiums Experten zu Vorträgen mit anschließender Diskussion.

So machen es die Briten

Vorbildfunktion, so die Bilanz, könnten in dieser Sache die Briten haben: „In anderen Gesundheitsthemen stehen sie nicht so gut da, aber beim Thema Tabakkontrolle sind sie Nummer 1 in Europa“, sagt Dr. Leonie Brose vom Institute of Psychiatry, Psychology and Neuroscience, King's College London. Deutschland hingegen belegt den schmachvollen letzten (36.) Platz in der europäischen Statistik. Während hierzulande immer noch 26,5 Prozent der Erwachsene rauchen, sind es im Vereinigten Königreich dank eines ganzen Maßnahmenpakets nur noch 14 Prozent.

Dampfen statt Qualmen?

Ein Baustein der britischen Strategie ist die Förderung von E-Zigaretten zum Ausstieg aus der Raucherkarriere – am besten in Kombination mit einer Verhaltenstherapie. Selbst Kampagnen des Nationalen Gesundheitsservices werben auf Plakaten, ganz selbstverständlich, auf E-Zigaretten umzusteigen, wenn der völlige Verzicht aufs Schmauchen nicht gelingt.

„In Großbritannien kommen viele, die in diesem Bereich arbeiten, aus der praktischen Arbeit mit Menschen, die von harten Drogen abhängig sind“, erklärt Brose auf Nachfrage von NetDoktor. Statt wie in Deutschland stur auf den sichersten Weg zu pochen, nämlich die Abstinenz, setzt man im Vereinigten Königreich, wenn das nicht möglich ist, auf Schadensminimierung. „Wir müssen weg von der moralischen hin zur Verantwortungsethik“, betont auch ihr Kollege Stöver.

Und dabei könnte die E-Zigarette eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Auch beim Heroin habe erst die Substitution mit Methadon breitere Erfolge in der Suchttherapie ermöglicht, so Brose. Inzwischen fordern britische Mediziner sogar, E-Zigaretten wie Nikotinpflaster auf Rezept verschreiben zu können.

Doppelt so wirksam wie Pflaster & Co.

Auch harte suchtmedizinische Fakten sprechen für sich: Mithilfe von E-Zigaretten gelingt doppelt so vielen Rauchern der Absprung wie mit reinen Nikotinersatzprodukten. Konkret verzichteten ein Jahr nach der erhofften letzten Zigarette noch rund 20 Prozent der Dampfer auf Tabakzigaretten, bei den Nutzern anderer Nikotinersatzpräparate waren es nicht ganz zehn Prozent, zeigte eine vielbeachtete britische Studie.

Unterstützt wird die Empfehlung durch einen jüngst veröffentlichten Cochrane Review, der die Ergebnisse von 50 qualitativ hochwertigen Studien zu dem Thema auswertete. Auch hier kamen die Forscher zu dem Schluss: E-Zigaretten könnten die Sucht besser bezähmen helfen als reine Nikotinersatzpräparate.

E-Zigaretten reduzieren den psychischen Entzug

Der Grund dafür leuchtet ein: Während Nikotinpflaster und -kaugummis nur den physischen Aspekt der Sucht, nämlich den Nikotinentzug, lindern, bedienen E-Zigaretten auch den schwerer wiegenden psychischen Aspekt. Die Macht der Gewohnheiten und persönlichen Rituale ist nicht zu unterschätzen und die höchste Hürde für einen langfristigen Ausstieg aus der Raucherkarriere: die Gewohnheit, sich etwas in den Mund zu stecken, etwas in den Händen zu halten, die Zigarette nach dem Essen, das Raucherpäuschen während des langen Arbeitstages.

Ein weiterer großer Vorteil: Die Nähe der E- zur Tabakzigarette kann auch Menschen zum Tabakverzicht ermutigen, die sich ein zigarettenloses Leben nicht vorstellen können.

Millionen Todesfälle vermeiden

„Das Potential für diesen Ansatz ist immens“, schreiben die Forscher in ihrem Positionspapier. Allein in den USA könnte der Ersatz der Zigarette durch den Gebrauch von E-Zigaretten über einen Zeitraum von 10 Jahren 6,6 Millionen weniger vorzeitige Todesfälle bewirken.

Auch im Vereinigten Königreich zeigen die Elektrokippen Wirkung: Inzwischen dampfen dort 600.000 Menschen E-Zigaretten mit dem Ziel, vom Tabak loszukommen. 1,2 Millionen haben das auf diesem Wege geschafft – darunter 750.000 Menschen, die inzwischen auch auf E-Zigaretten verzichten.

Mehr als 90 Prozent weniger Schadstoffe

Auch wenn noch immer Langzeitstudien fehlen: Dass E-Zigaretten erheblich weniger Schaden anrichten als Zigaretten, wird kaum noch angezweifelt. Beim Inhalieren klassischer Zigaretten gelangt mit jedem Atemzug ein giftiger Cocktail aus rund 7000 Stoffen in die Lunge - 70 davon können Krebs verursachen. In E-Zigaretten kommen diese entweder gar nicht oder in viel geringeren Mengen vor.

Nach Einschätzung der Public Health England, aber auch des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sind E-Zigaretten um 95 Prozent sicherer als gerauchter Tabak. Auch bei sogenannten Tabakerhitzern, in denen statt eines verdampften Liquids erwärmter (nicht verbrannter) Tabak eingesetzt wird, liegt die Schadstoffbelastung noch immer um 10 Prozent unter der der klassischen Zigaretten.

Daher schreiben die Unterzeichner des Positionspapiers, es gelte zu formulieren, „dass die E-Zigarette und Tabakerhitzer nicht harmlos sind, aber eine weniger schädliche Alternative zum Weiterrauchen darstellen, wenn anders der Verzicht auf die weit gefährlichere Tabakzigarette nicht gelingt.“

Viele überschätzen die Gefahr

Trotzdem ist die öffentliche Wahrnehmung häufig eine andere. Eine Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung offenbarte alarmierende Wissenslücken: 61 Prozent der Bevölkerung halten E-Zigaretten für mindestens so gefährlich wie ihre tabakhaltigen Pendants. Diesem Irrglauben sitzen auch viele Ärzte auf.

Unter anderem sind viele Bürger davon überzeugt, dass es zum größten Teil das Nikotin sei, das die Krebsgefahr von Zigaretten bewirkt – doch das ist nicht der Fall. Nikotin macht vor allem abhängig und kann in hohen Dosen toxisch wirken. Krebserregend aber ist es nicht.

Es gibt sogar Hinweise darauf, dass E-Zigaretten weniger stark süchtig machen: Untersuchungen zufolge flutet Nikotin bei ihrem Gebrauch weniger schnell im Gehirn an – das ist für die Sucht ein entscheidender Faktor.

Der lange Schatten rätselhafter Todesfälle

Die überschätzte Gefährlichkeit von E-Zigaretten hängt auch mit den rätselhaften Fällen schweren Lungenversagens zusammen, die 2017 in den USA unter E-Zigaretten-Nutzern aufgetreten waren und Dampfer wie Ärzte aufgeschreckt hatten. Mehr als 2500 Personen waren davon betroffen, mehr als 50 starben. Die Medien berichteten auch in Deutschland ausführlich über die „e-cigarette, or vaping, product use associated lung injury“, kurz EVALI genannt. Dann verschwand das Phänomen wieder.

Inzwischen scheint jedoch festzustehen, dass fast ausschließlich Konsumenten betroffen waren, die illegale Liquids konsumiert hatten. Diese hatten den Cannabiswirkstoff THC enthalten – und waren mit Vitamin-E-Acetat gestreckt worden. Dennoch blieb das Dampfen insgesamt als potenziell tödliche Gefahr in den Köpfen.

E-Zigaretten sind keine Einstiegsdroge

Auch die weithin geäußerte Sorge, E-Zigaretten könnten für Jugendliche den Einstieg in eine Raucherkarriere ebnen, scheint sich nicht zu bewahrheiten. Aktuelle Zahlen aus Deutschland zeigen keine Hinweise auf einen solchen Effekt: Die Zahl der Raucher unter den Kids nimmt weiterhin ab, der Anteil an jugendlichen Dampfern ist sehr gering. Tatsächlich gab in Umfragen weniger als ein Prozent der Jugendlichen an, zu dampfen, ohne je zuvor Tabakzigaretten konsumiert zu haben.

Abstinenz bleibt beste Alternative

Einig sind sich Mediziner und Forscher beiderseitig des Ärmelkanals allerdings in einem Punkt: Ganz vom Nikotin loszukommen, bleibt immer noch das erstrebenswerteste Ziel. Denn Langzeitschäden des E-Zigarettenkonsums kann man noch immer nicht seriös bewerten.

„Wir haben keine Hinweise für Langzeitschäden – aber wir haben auch keine Beweise dafür, dass sie nicht auftreten“, sagt Prof. Wolfram Windisch von der Universität Witten/Herdecke, einer der Vortragenden auf dem Symposium. Er meldet zudem mögliche Risiken an, die bislang wenig beachtet wurden: „Berufliche Belastungen der Lunge, Medikamente, Grippe, Covid-19 – wie sich solche Faktoren im Zusammenhang mit E-Zigaretten auswirken, wissen wir nicht. Wir müssen damit rechnen, dass es unter diesen Bedingungen schwerere Verläufe geben kann.“

Umsteigen ist besser als Weiterqualmen

Die Bilanz der Forscher nach dem Symposium: Das Beste, das Raucher für ihre Gesundheit tun könnten, sei zwar, unverzüglich aufzuhören. Für Tabakraucher aber, die nicht mit dem Rauchen aufhören können oder wollen, bedeutet der vollständige Umstieg auf Alternativprodukte ohne Tabakverbrennung (E-Zigaretten, Tabakerhitzer, tabakfreie Nikotinprodukte) eine empfehlenswerte Schadensminimierung.

„Wichtig dabei ist, dass ein vollständiger Umstieg erfolgt und nicht parallel weitergeraucht wird“, betonen die Forscher. Der sogenannte Dual-Use sei für eine kurze Übergangszeit akzeptabel, müsse jedoch so schnell wie möglich zugunsten des völligen Umstiegs beendet werden - denn auch das Rauchen weniger Zigaretten am Tag sei mit hohen Gesundheitsrisiken verbunden.

Ringen um die neue Leitlinie zum schädlichen Tabakkonsum

Bislang steht in den deutschen S3-Leitlinien zu „Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums“: „E-Zigaretten sollen nicht empfohlen werden, bevor sie nicht unter den Bedingungen der Arzneimittelprüfung auf ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit bei der harm reduction und Tabakentwöhnung untersucht worden sind.“

Doch es gibt einen Lichtblick: Die Überarbeitung der Leitlinie zum Tabakkonsum steht kurz vor dem Abschluss. Wie üblich können Fachleute noch Kommentare und Vorschläge dazu einbringen.

Unterzeichner des Positionspapiers wollen die Gelegenheit nutzen, sich noch einmal für die Empfehlung zur E-Zigarette als Ausstiegshelfer stark zu machen. Was dann tatsächlich in den Leitlinien steht, wird erneut über Jahre über den therapeutischen Einsatz von E-Zigaretten und Tabakverdampfern bestimmen.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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