Impfstoffe aus dem Gen-Baukasten

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Grippeviren sind Verwandlungskünstler. Sie verändern sich ständig und schlagen so den Impfstoffen ein Schnippchen. Von Saison zu Saison müssen deshalb neue Impfseren hergestellt werden – basierend auf einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation WHO, die viele Monate vor Anrollen der Grippewelle gestellt wird. Liegen die Weltgesundheitswächter daneben, schützt der Impfstoff weniger gut als sonst. Das könnte sich ändern.

Wenn man den Impfstoff erst kurz vor der Grippesaison produzieren könnte, wäre das zweifellos ein großer Vorteil. Dann würde er mit größerer Wahrscheinlichkeit gegen genau jene Erreger wirken, die gerade im Anmarsch sind. „Bisher dauert es aber etwa sechs Monate, bis ausreichend Impfstoff zu Versorgung der Bevölkerung gewonnen werden kann“, sagt Prof. Eberhard Hildt, Leiter der Abteilung Virologie vom Paul-Ehrlich-Institut im Gespräch mit NetDoktor.

Doch die klassische Impfstoff-Herstellung ist zeitaufwändig: Sie nutzt Hühnereier als Biorektoren. Jahr für Jahr landen daher Millionen Hühnereier nicht in menschlichen Mägen, sondern in den Produktionshallen der Pharmafirmen. Hier werden die befruchteten Eier mit Viren geimpft und dann einige Tage bebrütet. Aus dem so gewonnenen, milliardenfach vervielfältigten Virenmaterial stellen die Pharmazeuten Impfstoffe her. Doch es geht auch anders.

Zellen statt Hühnereier

In neuen Verfahren werden Impfstoffe Hühnereier Zelllinien als Virenfabriken werden eingesetzt – beispielsweise aus Hundelebern, Schmetterlingsraupen oder menschlichen Zellen. Eines davon ist der Grippeimpfstoff Flublok, der in den USA und Mexiko, aber nicht in Europa zugelassen ist.

Für Medikamente wie Flublok werden nicht Grippeviren vermehrt, die abgetötet und zerhäckselt oder geschwächt dem Immunsystem gewissermaßen als „steckbrieflich gesucht“ serviert werden. Stattdessen wählen sich die Wissenschaftler besonders markante Proteine aus, die auf der Oberfläche der Krankheitserreger sitzen: Hämagglutinine. Mit ihrer Hilfe heften sich die Viren, sich an die Wirtszelle. Mit Flublok werden insgesamt vier von ihnen dem Immunsystem des Körpers als Sparringspartner für den Ernstfall präsentiert.

Startschuss nach 21 Tagen

Sie werden hergestellt, indem die Pharmakologen harmlose Viren mit dem genetischen Bauplan der Oberflächenproteine bestücken, die diesen dann in die Produktionszellen schleusen. Sogleich beginnen die Zellen mit der Massenproduktion der Hämagglutinine. Laut eigenen Angaben kann der Hersteller so innerhalb von 21 Tagen 21.000 Liter Impfserum herstellen – gerechnet vom Zeitpunkt an, nach dem das betreffende Oberflächenprotein identifiziert und der genetische Bauplan kopiert wurde.

Doch das bleibt vorerst Zukunftsmusik. Denn ein System wie die WHO ist einem riesigen Dampfer vergleichbar – kurzfristige Kurskorrekturen sind kaum möglich. „Nach den derzeitigen Vorschriften müssten auch schnellere Produktionslinien die WHO-Vorgaben erfüllen – auch wenn diese bereits überholt sein sollten“, sagt Virologe Hildt. Welche Stämme produziert werden, lege die WHO fest, da könnten Hersteller kaum ausscheren. Auch wenn das bedeute, das mehr Geimpfte erkranken, die Verläufe schwerer seien, oder im schlimmsten Fall mehr Geimpfte an der Grippe sterben.

Schneller Schutz bei Pandemien

Anders sähe es im Falle einer Grippepandemie aus, bei der sich gefährliche Erreger unerwartet und massenweise über den Globus ausbreiten. „In einem solchen Fall gelten andere Richtinien. könnte man mit den neuen Impfstoffen viel schneller reagieren“, sagt Hild.

Und noch einen Trumpf haben die neuen Impfstoffe: ihre Stabilität. Die wandlungsfreudigen Grippeviren verändern sich in Hühnereiern ziemlich oft. Dann wirkt das Serum weniger gut gegen die Viren, die in freier Wildbahn grassieren. Das kann bei dem moderneren Verfahren nicht passieren. „Hier haben Sie etwas, das Sie sehr robust herstellen können“, sagt der Wissenschaftler.

Eifrei für Allergiker

Ein weiteres Plus für die gentechnische Impfvariante: Sie kommt mit weniger Zusatzstoffen aus und ist weniger verunreinigungsanfällig. Wird ein Impfstoff mithilfe von Hühnereiern produziert, enthält er auch Spuren von Eiproteinen, auf die manche Menschen allergisch reagieren. Außerdem Reste des Formaldehyds mit dem die Viren unschädlich gemacht werden, Antibiotika aus der Phase der Bebrütung, zudem Quecksilber-haltige Konservierungsmittel.

„Pure, Safe, Effective“, preist der Hersteller von Flublok das Grippeschutzmittel daher auch auf seiner Website an. Doch andererseits haben die Verunreinigungen in klassisch hergestellten Eiern auch Vorteile: „Sie haben einen Verstärkereffekt“, sagt Hildt.

Vielseitigere Immunantwort mit Ei-Impfstoffen

Mehr noch: Sind verschiedene Virenbestandteile im Serum enthalten, stellt sich die Immunantwort breiter auf. Auch wenn der Impfstoff in der Saison vielleicht nicht genau passt, haben die Geimpften dadurch eine gewisse Basisimmunität. Und die baut sich über Jahre in der Bevölkerung auf.

Während die Immunabwehr bei Flublok nur auf vier Hämagglutinine angesetzt wird, wird sie bei konventionellen Impfstoffen auch gegen zahlreiche andere Virenbestandteile scharfgemacht. Darunter insbesondere auch die Neuraminidasen, die ebenfalls auf der Oberfläche des Virus sitzen. „Wir werden erst im Verlauf der nächsten Jahre sehen, wie sich die Basisimmunität mit den neuen Grippeimpfstoffen entwickelt, und wie sich das auf spätere Influenzawellen auswirkt“, so Hildt.

Senioren profitieren

Bei Senioren zumindest wirkt laut einer aktuellen Studie Flublok besser als konventionelle Impfstoffe. Mit letzteren erkrankten 3,2 Prozent der Probanden trotz Impfung an Grippe, mit dem neuen Impfstoff waren es nur 2,2 Prozent. Älteren wird die Impfung besonders empfohlen, da die Grippe bei ihnen häufiger schwer verläuft. Gleichzeitig wirkt die Impfung aber bei ihnen schlechter als bei jüngeren: Das Immunsystem ist im Alter nicht mehr so schlagkräftig und spricht weniger stark auf die Mittel an.

Vorteilhafte Vielfalt

„Optimal ist ohnehin, wenn wir ein möglichst breites Angebot verschiedener Impfstoffe zur Verfügung haben“, erklärt Hildt. Zum einen, damit es bei Lieferproblemen keine Engpässe gibt. Zum anderen aber auch, weil für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Impfstoffe geeigneter sind. „Wir müssen stärker der Zusammensetzung der Bevölkerung Rechnung tragen. Kinder und Jugendliche brauchen einen anderen Impfstoff als Senioren“, sagt Hildt, „und ich denke, das wird auch kommen.“

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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