Darmflora

Darmflora und Asthma: „Keine voreiligen Schlüsse!“

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Larissa Melville

Larissa Melville absolvierte ihr Volontariat in der Redaktion von NetDoktor.de. Nach ihrem Biologiestudium an der Ludwig-Maximilians-Universität und der Technischen Universität München lernte sie die digitalen Medien zunächst bei Focus online kennen und entschied sich dann, den Medizinjournalismus von Grund auf zu erlernen.

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Das „Mikrobiom“ wird zum neuen Modebegriff in der Medizin. Doch ist der Hype gerechtfertigt? Lassen sich über die Bakterienflora im Darm wirklich Krankheiten wie Asthma oder Allergien günstig beeinflussen? Die Münchner Kinderärztin Erika von Mutius forscht seit Jahren – und dämpft überzogene Erwartungen.

Frau Dr. von Mutius, alle reden vom Mikrobiom – aber was genau darf man sich eigentlich darunter vorstellen?

Der Körper ist von Bakterien besiedelt - und zwar an allen Körperober- und Innenflächen egal, ob es der Darm ist, die Lunge, die Atemwege, die Nase, der Urogenitaltrakt oder die Haut. Es gibt ungefähr zehnmal mehr Bakterien auf und in uns, als das wir eigene Zellen haben: Wir sind eigentlich ein Superorganismus aus Bakterien und eigenen Zellen.

Spielt das Mikrobiom des Darms bei Kindern wirklich eine Rolle für die Entstehung von Asthma und Allergien?

Man vermutet, dass Veränderungen im Darmmikrobiom in der frühen Kindheit eventuell eine Rolle spielen – aber das ist lange noch nicht endgültig geklärt. Die wenigen Untersuchungen hatten teils sehr geringe Fallzahlen und erbrachten zum Teil sehr unterschiedliche Aussagen. Auch das Alter der Probanden ist manchmal ein Problem: Erst nach fünf oder sechs Jahren kann man sagen, ob ein Kind Asthma hat – doch viele der Studien hören bereits im Alter von einem oder drei Jahren auf.

Können Sie erklären, wie das Darmmikrobiom auf die Lunge Einfluss nimmt?

Die meisten Studien, die einen Zusammenhang zwischen Darmmikrobiom und Asthma hergestellt haben, sind Studien an Mäusen. Dort ist der Mechanismus klar: Im Darm gibt es ganz viel Immunsystem, denn wo viele Bakterien leben, braucht es auch eine sehr wirksame Immunschranke. Und dieses Immunsystem kommuniziert über Zellen mit dem ganzen Körper – auch mit der Lunge. Veränderungen im Darmmikrobiom machen sich daher auch dort bemerkbar. Beim Menschen allerdings ist die Situation noch nicht so ganz klar.

Sie meinen, Studien an Mäusen sind nicht aussagefähig genug?

Das Thema boomt und fasziniert die Menschen – doch man muss vorsichtig sein mit voreiligen Schlüssen. Was in der Maus funktioniert, ist schön und es gibt Ähnlichkeiten zum Menschen. Trotzdem bleibt die Maus eine Maus. Um das Thema wirklich beurteilen zu können, fehlen mehr humane Studien – mit einer großen Zahl an Probanden.

Einige Forscher vermuten, dass die Darmflora besonders in den ersten 100 Lebenstagen das Risiko für Allergien und Asthma entscheidend beeinflusst. Was meinen Sie?

Es gibt die Vorstellung, dass das erste Lebensjahr für die Entstehung von Asthma und Allergien von entscheidender Bedeutung ist. Das ergibt insofern Sinn, als Asthma und Allergien schon sehr früh im Leben beginnen. Mögliche Risiko- oder Schutzfaktoren müssen daher schon früh zum Tragen kommen. Aber, ob es nun 100 Tage sind, einige Monate, sechs Monate oder drei Jahre, ist nicht klar.

Spielt auch der Geburtsweg eine Rolle bei der Entstehung von Allergien und Asthma?

Einige Studien haben gezeigt, dass Kaiserschnittkinder ein anderes Mikrobiom aufweisen. Bei der natürlichen Geburt sind es vor allem vaginale Keime der Mutter, beim Kaiserschnitt findet man vor allem am Anfang eine Besiedelung mit Hautkeimen, da das Baby der Mutter auf den Bauch gelegt wird. Doch inwieweit dies die Entstehung von Allergien und Asthma beeinflusst, ist noch nicht geklärt. Fakt ist: Das Mikrobiom entwickelt sich über die ersten drei Jahre. Und niemand hat bisher überzeugend gezeigt, dass das, was während der Geburt oder in den ersten Tagen danach passiert, dafür wirklich entscheidend ist. Hier muss noch viel mehr geforscht werden.

Halten Sie die Entwicklung wirksamer probiotischer Mittel für denkbar, die alle Säuglinge zur Vorbeugung von Allergien und Asthma bekommen könnten?

Ja, ich hoffe, dass dies eines Tages funktionieren wird.

Spielt das Mikrobiom auch bei erwachsenen Asthmatikern eine Rolle?

In dem Bereich wird viel geforscht und man weiß, dass auch bei Erwachsenen mit Asthma das Mikrobiom in den Atemwegen anders ist. Aber das ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei: Sind andere Bakterien in der Lunge vorhanden und machen sie krank? Oder wird die Veränderung des Mikrobioms erst durch die Krankheit verursacht? Beides ist möglich, aber ich tendiere zu Letzterem: Ich habe den Eindruck, dass die Asthmaerkrankung bedingt, dass sich in der Lunge andere Bakterien ansiedeln.

Viele Fragen zum Thema Mikrobiom scheinen noch offen. Glauben Sie denn, dass die Forschung auf diesem Gebiet schnell voranschreiten wird?

Ich bin überzeugt davon, dass die gesamte Forschung in diesem Bereich in kürzester Zeit sehr viel erschwinglicher wird. Dann kann man eine sehr viel größere Patientenzahl untersuchen und endlich aussagekräftige Ergebnisse liefern.

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Larissa Melville
Larissa Melville

Larissa Melville absolvierte ihr Volontariat in der Redaktion von NetDoktor.de. Nach ihrem Biologiestudium an der Ludwig-Maximilians-Universität und der Technischen Universität München lernte sie die digitalen Medien zunächst bei Focus online kennen und entschied sich dann, den Medizinjournalismus von Grund auf zu erlernen.

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