E. coli

Darmbakterien: Schlüssel zur Gesundheit?

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

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Darmbakterien spielen nicht nur für die Verdauung eine Rolle. Sie wirken auf die Gesundheit des gesamten Körpers, bis hin zum Gehirn und beeinflussen sogar Gefühle. Sind die kleinen Mitbewohner eine Schraube, an der man drehen kann, um gesünder zu sein?

Der menschliche Körper ist eigentlich so etwas wie eine WG. Denn außer den eigenen Zellen wohnen dort jede Menge Mikroorganismen. Sie sind sogar in der Überzahl: 40 Billionen versus 30 Billionen Körperzellen, laut neuester Schätzungen. Der größte Anteil davon tummelt sich im Darm.

Lange dachte man, die Darmmitbewohner seien passiv und größtenteils harmlos. Heute beginnen Wissenschaftler Stück für Stück zu enthüllen, wie groß der Einfluss des sogenannten Darmmikrobioms - also der Gesamtheit der im Darm lebenden Mikroorganismen - auf die menschliche Gesundheit wirklich ist. Das Ausmaß ist längst noch nicht klar. Eines zeichnet sich jedoch bereits ab: Die Darmbakterien scheinen die Gesundheit sehr viel stärker zu beeinflussen als man bisher angenommen hatte.

„Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“

Damit sie überleben können, benötigen sie genügend Futter. Und dafür sorgen die Bakterien aktiver als man glaubt: Sie beeinflussen das menschliche Sättigungsgefühl. Normalerweise signalisieren Dehnungsrezeptoren im Magen und Peptidbotenstoffe, dass man sich nach einer ordentlichen Mahlzeit satt fühlt. Umgekehrt zeigen solche Substanzen auch Hunger an, etwa wenn das Mittagessen noch bevorsteht.

Manche der bakteriellen Mitbewohner bauen solche Peptidbotenstoffe nach. Diese gaukeln dann zum Beispiel vor, man sei noch lange nicht satt – auch wenn das bereits der Fall ist. Aber nicht alle Darmbakterien wollen uns dazu bringen, möglichst viel zu essen.

Das Darmbakterium Escherichia coli etwa kommt mit weniger Zucker und Nahrung aus als andere Darmbewohner. Wenn man isst, produziert es nach 20 Minuten Sättigungshormone. Außerdem unterdrückt es durch seine Zuckerzellwand die Lust auf Süßes. Wahrscheinlich verhindert es so Überschüsse, die hungrigeren Konkurrenten zu Gute kommen würden.

Gesteuerte Lust auf Süßes

Um das menschliche Essverhalten zu steuern, beeinflussen Darmbakterien sogar wie man sich fühlt. Das Milchsäurebakterium Bacillus infantis produziert Tryptophan, einen Vorläufer des Glückshormons Serotonin. Geht der Spiegel zurück, fühlt man sich deprimiert und greift schneller zu Schokolade, Eis, Bonbons und Co.

Schreien sorgt für Nachschub

Ein anderes Strategie-Beispiel der Bakterien: Wissenschaftler haben festgestellt, dass Schreikinder andere Darmmitbewohner besitzen als nichtschreiende Säuglinge. Die Hypothese: Diese Bakterien könnten die Stimmung des Babys so beeinflussen, dass es ständig weint. Denn was bei den Vögeln funktioniert, klappt auch beim Menschen: Wenn das Baby immer wieder auf sich aufmerksam macht, wird es mehr gefüttert. Und das sorgt auch bei den Darmbakterien für Essens-Nachschub.

Macht bis ins Gehirn

Ein Experiment mit Mäusen hat gezeigt, dass die bakteriellen Darmbewohner vielleicht sogar beeinflussen, wie ängstlich jemand ist. Keimfrei aufgezogene Nager bekamen entweder die Darmbakterien von ängstlichen Tieren oder mutigen Tieren verabreicht.

Das Verblüffende: Sie zeigten dann entsprechend auch ängstliche oder mutige Verhaltensweisen. Es funktionierte sogar, die Tiere „umzuprogrammieren“. Zuvor ängstliche Mäuse wurden mit dem Mikrobiom mutiger Nager selbst forscher und umgekehrt. Ob sich das Ergebnis dieser Studie auf den Menschen übertragen lässt, ist schwer zu sagen.

Aber noch an anderer Stelle geht die Macht der Mitbewohner wahrscheinlich bis ins Gehirn: Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Darmbakterien mit verschiedenen psychischen Erkrankungen in Zusammenhang stehen, etwa dem Chronischen Erschöpfungssyndrom. Im Darm von Patienten wohnen deutlich weniger unterschiedliche Bakterien als bei gesunden Menschen.

Offenbar können Bakterien im Darm aber auch direkt die Nervenzellen im Gehirn beeinflussen. Eine Studie des Universitätsklinikums Freiburg zeigte 2015, dass keimfreie Mäuse nur einen verkümmerten Aufräumtrupp im Gehirn entwickelten. Wahrscheinlich, weil kurzkettige Fettsäuren fehlen, die Darmbakterien beim Abbau der Nahrung herstellen und die mit dem Blut ins Gehirn wandern. Diese aktivieren die wichtige Hirn-Müllabfuhr. Funktioniert sie nicht richtig, können neurodegenerative Krankheiten entstehen.

Booster für das Immunsystem

Schon länger bekannt ist: Eine ballaststoffreiche Ernährung senkt das Risiko für Asthma. Offenbar sorgen Darmbakterien für diesen Effekt. Sie zersetzen die Ballaststoffe und produzieren Fettsäuren, die mit dem Blut ins Knochenmark transportiert werden. Dort beeinflussen sie die Produktion bestimmter Immunzellen. Diese wandern in die Lunge, wo sie die für Asthma typische übersteigerte Immunreaktion bremsen.

Die Darmbakterien spielen aber nicht nur bei Allergien und Autoimmunkrankheiten eine Rolle, sie stärken auch die Immunabwehr bei Infektionen und bekämpfen Grippeviren und Co. kräftig mit. Versuche mit Mäusen zeigen: Fehlt die Darmmikroflora oder ist sie stark dezimiert, verläuft die Infektion sehr viel gravierender.

WG-Casting?

Bei so viel Einfluss auf die Gesundheit stellt sich natürlich die Frage: Kann man sich seine Darmmitbewohner aussuchen? Und wen möchte man eigentlich gerne in seiner Darm-WG wohnen lassen?

Grundsätzlich gilt: Je bunter die Wohngemeinschaft, umso besser. Wissenschaftliche Studien zeigen nämlich eine Korrelation zwischen der Vielfalt an Mikroorganismen im Darm und der Gesundheit. Liegt eine schwere Erkrankung vor, etwa eine chronische Darmentzündung, leben dagegen sehr viel weniger verschiedene Bakterien im Darm als bei gesunden Menschen.

Tee und Joghurt

Tatsächlich kann man seine Mitbewohner durch die Ernährung beeinflussen. Dabei gilt: Fett- und zuckerreiche Nahrung schränken die Vielfalt der im Darm lebenden Organsimen ein, Ballaststoffe steigern sie.

Eine Studie der Katholischen Universität Leuven in Belgien weist zudem darauf hin, dass spezifische Lebensmittel ebenfalls die Diversität des Mikrobioms erhören: Dazu gehören Joghurt, Buttermilch, Kaffee, Tee oder Rotwein. Forscher um Dr. Jeroen Raes hatten dazu Stuhlproben von mehr als 6.000 Menschen untersucht und diese nach ihren Essgewohnheiten befragt.

Ebenfalls als günstig für die Darmbakterien gelten sogenannte Probiotika, das sind Mikroorganismen mit besonders gesundheitsfördernden Eigenschaften für den Menschen. Diese sind in verschiedenen Lebensmitteln, etwa probiotischem Joghurt enthalten.

Störende Medikamente

Einen stark negativen Einfluss auf die kleinen Mitbewohner des Darms haben dagegen Medikamente. Naheliegend ist das für Antibiotika, die häufig nicht nur den Krankheitserreger, sondern auch verschiedene andere Bakterien abtöten. Auch Abführmittel, Antihistaminika, Medikamente gegen Sodbrennen, Statine, die Pille oder Hormone beeinflussen die Bakterien im Darm.

Offene Fragen

Trotz intensiver Forschung seien mehr Fragen offen als beantwortet, so Raes. So liegt es auf der Hand, dass man keine krankheitserregenden Mitbewohner haben möchte. Welche Mikroorganismen aber für wen besonders günstig sind und zum Beispiel helfen könnten bestimmte Allergien zu unterdrücken, muss erst noch im Detail erforscht werden.

Bis man die kleinen Darmmitbewohner also gezielt für medizinische Therapien beeinflussen kann, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Als nächsten Schritt wollen Raes und seine Kollegen Stuhlproben von 40.000 Probanden untersuchen, um noch mehr über den Einfluss der WG Darm auf die menschliche Gesundheit zu erfahren.

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Andrea Bannert
Dr.  Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

Quellen:
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  • L. V. Blanton et al.: Gut bacteria that prevent growth impairments transmitted by microbiota from malnourished children. Science, 2016; 351 (6275): aad3311 DOI: 10.1126/science.aad3311.
  • Raes J. et al: Population-level analysis of gut microbiome variation, Science 2016;352(6285):560-564.
  • Ron Sender, Shai Fuchs, Ron Milo. Are We Really Vastly Outnumbered? Revisiting the Ratio of Bacterial to Host Cells in Humans. Cell, 2016; 164 (3): 337 DOI: 10.1016/j.cell.2016.01.013.
  • Sender R. et al.: Are We Really Vastly Outnumbered? Revisiting the Ratio of Bacterial to Host Cells in Humans. Cell, 2016; 164 (3): 337 DOI: 10.1016/j.cell.2016.01.013
  • Simone Becattini, Ying Taur, Eric G. Pamer: Antibiotic-Induced Changes in the Intestinal Microbiota and Disease. Trends in Molecular Medicine, 2016; DOI: 10.1016/j.molmed.2016.04.003.
  • Spektrum der Wissenschaft KOMPAKT: Mikrobiom – Was unsere Bakterien über uns verraten, Spektrum der Wissenschaft Verlag, 27.06.2016
  • T. Volz, F. et al.: „NOD2 Signalling critically influences sensitization to orally ingested allergens“. Journal of Investigative Dermatology 136:9 (2016). S. 201.
  • Zhernakowa A. et al: Population-based metagenomics analysis reveals markers for gut microbiome composition and diversityScience 2016;352(6285):565-569.
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