DNA

Mit der Genschere gegen Krebs

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

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Die Gentherapie steht in den Startlöchern: Mit Viren als Gentaxis und genetisch veränderten Immunzellen haben Forscher sich für den Kampf gegen Krebs gerüstet.

Endlich ein Wundermittel gegen Krebs! Modifizierte Masern-Viren töten Tumorzellen mit einer Erfolgsquote von hundert Prozent ab. Doch dann kommt es zur Katastrophe: Das Virus mutiert. Millionen Menschen sterben, wer überlebt, wird zum Zombie. Diese Geschichte um den Virologen Dr. Robert Neville erzählt der Hollywood-Streifen „I Am Legend“ aus dem Jahr 2007. Die sogenannten onkolytischen Viren, die im Film vorkommen, sind aber keineswegs Science-Fiction. Sie sind eine Form der Gentherapie gegen Krebs. Und die steht in den Startlöchern.

Zulassung in den USA

In den USA wurde bereits im Oktober 2015 erstmals ein solches Virus zur Bekämpfung von Melanomen zugelassen. Diese Hautkrebsform ist besonders bösartig, denn sie bildet früh Metastasen, die über die Lymph- und Blutbahnen streuen.

„Krebs ist letztlich eine genetische Krankheit“, erklärt Dr. Boris Fehse, Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im Gespräch mit NetDoktor. „Da liegt es nahe, dass man für die Therapie ebenfalls ins Erbgut eingreift.“ Zentrale Idee der klassischen Gentherapie ist es, ein krankes Gen gegen ein gesundes auszutauschen. Ganz so einfach ist es beim Krebs allerdings nicht. „Die Änderungen im Genom sind meistens sehr komplex“, sagt Fehse. Die Fehler im Bauplan, sogenannte Mutationen, die Zellen unkontrolliert wuchern lassen, lägen nicht nur auf einem Gen, sondern auf vielen verschiedenen.

Eingeschleuste Selbstmordgene

So viele Fehler lassen sich nicht durch gesunde Gene beheben. Stattdessen schleusen die Wissenschaftler ein sogenanntes Selbstmordgen in die Tumorzellen ein. Diese sterben daraufhin ab und lösen sich auf. „Direct Killing“ nennt man die Methode deshalb auch. Aber irgendwie muss das Selbstmordkommando in die Krebszellen gelangen. Als Taxi für die Gene kommen hier die onkolytischen Viren ins Spiel. Die Wissenschaftler nutzen dazu die raffinierte Replikationsstrategie von Viren aus: Sie schleusen ihr Erbmaterial in eine Wirtszelle ein, und nutzen deren Vervielfältigungsapparat, um sich zu vermehren.

Im Kampf gegen den hochaggressiven Schwarzen Hautkrebs wird beispielsweise schon jetzt ein Herpesvirus eingesetzt, das genetisch so verändert wurde, dass es ein Selbstmordgen für die Krebszellen in sich trägt.

Das Verfahren wurden im Rahmen einer Studie mit 436 Patienten getestet. Sie alle litten unter weit fortgeschrittenen Melanomen, die bereits gestreut hatten und sich nicht mehr operieren ließen. Ihnen injizierten die Forscher die genveränderten Viren direkt in den Tumor. Und zwar über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Bei 16,3 Prozent der Probanden verschwand die bösartige Wucherung oder ging zumindest zurück. In der Kontrollgruppe war dies nur bei 2,1 Prozent der Patienten der Fall. „Diese Patienten hatten eine extrem schlechte Prognose. So gesehen, ist das Ergebnis vielversprechend“, erklärt Fehse.

Viren-Invasion in den Tumorzellen

Mit Hilfe solcher onkolytischen Viren ließen sich zukünftig auch andere Krebszellen sehr gezielt abtöten, aber: „Das größte Problem ist es, wirklich alle Tumorzellen zu erwischen“, erklärt Fehse. Denn solange Krebszellen übrigblieben, könnten die weiter wachsen und sich vermehren.

Deshalb hat man Viren entwickelt, die sich in den Tumorzellen vermehren können. „Das ist ein selbstregulierender Prozess“, sagt Fehse, „solange Tumorzellen da sind, vermehren sich die Viren, sind alle besiegt, sterben sie ab.“ Der Trick: Die Viren sind so programmiert, dass sie für ihre Vermehrung auf Besonderheiten im Stoffwechsel der Tumorzellen angewiesen sind. Gesunde Körperzellen haben diese Eigenschaften nicht und werden darum auch nicht befallen.

In der Zwickmühle

Doch es gibt noch ein weiteres Problem: Wenn sich Viren im Körper vermehren, schlägt das Immunsystem Alarm. „Das Immunsystem kann natürlich nicht wissen, dass es sich um ein ‚gutes Virus‘ handelt“, sagt Fehse. Es bekämpft also die rettenden Viren und eliminiert sie, bevor sie ihr Werk vollenden können. Um das zu verhindern, könnte man das Immunsystem ausschalten. „Aber das würde zu große Risiken bergen“, erklärt der Wissenschaftler. Denn auch andere Krankheitserreger hätten dann leichtes Spiel. Vielleicht noch riskanter wäre die Strategie, Viren zu bauen, die vom Immunsystem gar nicht erst erkannt werden. Sie könnten zwar ungestört die Tumorzellen ausrotten. Sollten sie aber irgendwann mutieren und auch auf gesunde Zellen losgehen, hätte der Körper keine Chance sich zu wehren – ein Szenario wie in „I Am Legend“.

Im Fall der Herpes-Viren, die auf Melanome angesetzt wurden, haben die Wissenschaftler eine Kompromisslösung gefunden: sogenannte Immunstimulatoren. Das Anti-Krebs-Virus trägt dann zusätzlich die Information für einen Botenstoff, der das körpereigene Immunsystem des Patienten stimuliert: den Granulozyten-Monozyten-stimulierenden Faktor GM-CSF. Das Immunsystem eliminiert zwar nach und nach die Viren, gibt aber dem Tumor dank der Stimulation anschließend selbst den Rest.

Scharfgemachte Immunzellen

Auch die zweite wichtige Form der Gentherapie zielt auf das Immunsystem: die sogenannte Immungentherapie. Sie nutzt eine Fähigkeit, die das Immunsystem eigentlich sowieso hat: Nämlich tagtäglich krankhaft veränderte Körperzellen auszuschalten. Neben der Bekämpfung von Krankheitserregern ist das seine wichtigste Aufgabe. Nur wenn es diese aus irgendeinem Grund nicht erfüllt, entsteht ein Tumor. „Die Frage ist: Können wir es wieder dazu bringen?“, sagt Fehse. Die Idee: die Immunzellen durch genetische Veränderungen gegen Krebszellen scharf zu machen.

Immunzellen identifizieren Freund und Feind an bestimmten Proteinen, die auf der Oberfläche von Zellen sitzen: die sogenannten Antigene. Das tun sie mit Hilfe spezifischer Rezeptoren, die wie der Schlüssel zum Schloss zu den Antigenen passen und an diese binden. T-Zellen beispielsweise fungieren so als Gedächtnis des Immunsystems. Hat der Körper eine Krankheit überwunden, sind die T-Zellen in Zukunft gewissermaßen mit dem passenden Schlüssel ausgerüstet, um die Erreger in einem weiteren Infektionsfall schnell identifizieren zu können.

Entlarvte Schädlinge

Die Wissenschaftler montieren nun mithilfe genetischer Modifikationen Rezeptoren, die zu den jeweiligen Krebszellen passen, auf die T-Zellen von Krebspatienten. In der Folge entlarvt das Immunsystem die Krebszellen als Schädlinge und attackiert sie. „Das funktioniert natürlich nur, wenn die Tumorzellen Oberflächenstrukturen besitzen, die es auf normalen, gesunden Zellen nicht gibt“, sagt Fehse.

Ausgelöschter Krebs

Und das ist zum Beispiel bei Blutkrebs der Fall. In mehreren Studien wurden bereits Patienten mit dieser Therapieform behandelt, unter anderem 2012 an der Universität von Pennsylvania. An der Studie nahmen 30 Patienten mit lymphatischer Leukämie teil, mehrheitlich Kinder. Bei allen hatten andere Therapien nicht angeschlagen, mehr als die Hälfte hatte bereits eine Knochenmarkstransplantation hinter sich. Für die Therapie filterten die Ärzte die T-Zellen aus dem Blut der Erkrankten und fügen ihnen dann im Labor ein Gen mit dem Bauplan des Anti-Tumor-Rezeptors hinzu. Die veränderten Immunzellen wurden den Patienten dann in einer Infusion über drei Tage wieder zurückgegeben. Die Ergebnisse waren verblüffend: Bei 27 Probanden ging der Krebs zurück, 19 blieben krebsfrei.

Auch in Deutschland könnten Krebspatienten schon bald von Gentherapien profitieren. „Die onkologischen Viren werden in den nächsten ein, zwei Jahren zugelassen“, schätzt Fehse. Bei der Immungentherapie gegen Blutkrebs könnte es sogar noch schneller gehen. Der Forscher glaubt: „Vielleicht noch in diesem Jahr.“

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Andrea Bannert
Dr.  Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

ICD-Codes:
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ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • B. Fehse und P. Abramowski: Gentherapeutische Konzepte in der Onkologie, TumorDiagn u Ther 2015; 36: 333 – 336, Thieme Verlag
  • Pressemeldung: Jahrestagung der American Society of Hematology in New Orleans, 2013.
  • Robert Coffin et al.: Talimogene Laherparepvec Improves Durable Response Rate in Patients With Advanced Melanoma, JCO JCO.2014.58.3377; published online on May 26, 2015.
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