Stuhltransplantation

Geheilter Darm dank Stuhlspende

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Luise Heine

Luise Heine ist seit 2012 Redakteurin bei Netdoktor.de. Studiert hat die Diplombiologin in Regensburg und Brisbane (Australien) und sammelte als Journalistin Erfahrung beim Fernsehen, im Ratgeber-Verlag und bei einem Print-Magazin. Neben ihrer Arbeit bei NetDoktor.de schreibt sie auch für Kinder, etwa bei der Stuttgarter Kinderzeitung, und hat ihren eigenen Frühstücksblog „Kuchen zum Frühstück“.

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Gesund oder krank? Darüber entscheiden auch die Darmbakterien. Bei manchen Krankheiten macht eine neue Behandlungsform Hoffnung: die Fäkaltransplantation. Dabei wird einem Kranken der Stuhl eines Gesunden verabreicht. Die Ergebnisse erstaunen.

Rund 400 Quadratmeter – so groß ist die Oberfläche der menschlichen Darmschleimhaut. Das entspricht der Wohnfläche einer mittleren Villa. Kein Wunder also, dass der Darm nicht nur verdaut und Nährstoffe ins Blut weitergibt, sondern auch bei der Abwehr von Krankheitserregern und Giftstoffen eine große Rolle spielt.

Im Dickdarm unterstützt ihn dabei ein Heer von Mikroorganismen. Allerdings mit großen individuellen Unterschieden: Jeder Mensch beherbergt seine ganz eigene Multikulti-Bakteriengesellschaft. Welchen Einfluss dieses sogenannte Mikrobiom auf die Gesundheit seines Gastgebers hat, beginnt die Wissenschaft gerade erst auszuloten.

So konnten zum Beispiel mehrere Studien zeigen, dass kranke Menschen eine andere Darmflora besitzen als gesunde. Was läge also näher als zu versuchen, das Bakterienspektrum eines Kranken gegen die Darmflora eines Gesunden zu tauschen?

Hartnäckiger Darmkeim

Genau das hat der Magen-Darm-Spezialist Prof. Max Reinshagen am Klinikum Braunschweig bereits mehrfach getan. Und zwar bei einem ganz speziellen Krankheitsbild: der chronisch-wiederkehrenden Clostridien-Dickdarmentzündung (Clostridiencolitis). „Bei diesen Patienten funktioniert das extrem gut“, berichtet Reinshagen.

Am Anfang steht die Suche nach einem geeigneten Spender. "Meist wählt man dafür junge, gesunde Menschen, bei denen der Darm keine Probleme macht", erklärt Reinshagen. Diese werden zunächst auf Krankheiten wie HIV oder Hepatitis untersucht. Ist der Spender rundum gesund, gibt er eine Probe seines Stuhls ab. Diese wird in einer Salzlösung gelöst und anschließend durch eine Gaze gefiltert. So verdünnt und gereinigt, ist die Stuhlprobe fertig für die "Transplantation" in den Darm des Empfängers.

Dessen Darm wird zuvor gereinigt, denn der Spenderstuhl wird via Darmspiegelung übertragen. Das Endoskop hat dafür neben der Kamera einen sogenannten Spülkanal, über den die Stuhlflüssigkeit eingespritzt werden kann, sobald der Arzt den kranken Darmbereich erreicht hat. 

Das Resultat der ungewöhnlichen Behandlung: Innerhalb weniger Tage klingen die Beschwerden der Patienten ab. „Man nimmt an, dass die Bakterien des Spenders die Clostridien zurückdrängen“, erklärt Reinshagen das Prinzip. Das verschaffe der eigenen Darmflora die kleine Verschnaufpause, die sie braucht, um sich zu stabilisieren. Denn nach einigen Tagen bis Wochen ist die Spenderflora wieder verschwunden und durch die eigene des Patienten ersetzt.

Schubweise Durchfall und Koliken

Warum aber wirkt die Transplantation gerade bei Clostriden-Patienten so gut? Etwa einer von zwanzig Menschen trägt den Darmkeim Clostridium difficile in sich. Meist führt er ein Schattendasein. Er verursacht weder Symptome, noch breitet er sich weiter aus. Die anderen im Darm beheimateten Bakterien halten ihn in Schach. Wird die natürliche Darmflora aber aus ihrer Balance gebracht – etwa durch eine Antibiotikatherapie – nutzt der Keim gern die Chance und breitet sich aus. Typische Beschwerden: Durchfälle, manchmal auch blutige, und starke, krampfartige Schmerzen.

Die Clostridien können sehr hartnäckig sein: Bei rund jedem zehnten Betroffenen gewinnt die hauseigene Darmflora nicht mehr die Oberhand, und fast alle gängigen Antibiotika sind gegen den Keim wirkungslos. Schlimmer noch: Mit jedem Rückfall schrumpft das Arsenal wirksamer Gegenmittel. Gleichzeitig steigt das Risiko für neue Schübe. Mediziner sprechen dann von der wiederkehrenden (rezidivierenden) Clostridiencolitis.

„Clostridien produzieren außerdem ein Gift, die Patienten fühlen sich ziemlich krank“, so Reinshagen. Dementsprechend sei der Leidensdruck der Betroffenen. Er ist so groß, dass Betroffene bereit sind, die ungewöhnliche und auf den ersten Blick etwas abschreckende „Fäkaltransplantation“ über sich ergehen zu lassen.

Den Erfolg der Fäkaltransplantation haben mehrere Untersuchungen belegt. So kehrte in einer Pilotstudie aus Boston bei 18 von 20 Colitis-Patienten durch den Bakterientransfer wieder Ruhe in den Darm ein. Zahlen, die sich mit den Erfahrungen von Reinshagen decken, der das Verfahren in Deutschland als Erster anwendete.

Rechtlicher Haken

Die Sache hat allerdings einen Haken: Die Fäkaltransplantation ist in Deutschland nicht als Therapie zugelassen. „Die Behandlung kann nur als Teil eines individuellen Heilungsversuches erfolgen“, erläutert Reinshagen, was so viel bedeutet wie: Der Patient muss alle gängigen und zugelassenen Methoden ohne Erfolg ausprobiert haben. Eine Ethikkommission entscheidet in jedem Einzelfall, ob die Option einer Stuhltransplantation als letzte Therapieoption gezogen werden darf. Das aufwendige Verfahren ist sicher einer der Gründe, warum der Braunschweiger Gastroenterologe in den vergangenen Jahren gerade mal eine Handvoll Patienten mit der Fäkaltransplantation behandelt hat.

Chance für entzündliche Darmerkrankungen?

Trotzdem: Die erfolgreiche Behandlung der Clostridiencolitis lässt auch Menschen mit anderen chronischen Darmkrankheiten Hoffnung schöpfen. Vielerorts wird bereits mit Hochdruck daran geforscht, ob beispielsweise Menschen mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa ebenfalls von einer Stuhltransplantation profitieren könnten. Auch bei ihnen weiß man inzwischen, dass die Darmflora eine wichtige Rolle spielt.

„Bei Morbus Crohn hat bisher noch keine Studie Erfolg vermelden können“, sagt Reinshagen. „Dagegen haben bei Colitis ulcerosa gerade Kollegen in Kanada für Aufregung gesorgt.“ Die hätten 75 Erwachsenen, die gerade einen Schub der entzündlichen Darmerkrankung durchmachten, Einläufe mit einer Fäkallösung verpasst. Sie stammte von sechs verschiedenen Spendern. Zuerst habe es den Anschein gehabt, als würde die Behandlung nichts bringen. „Aber dann stellten Paul Moayyedi und seine Kollegen fest, dass es unter den Kranken eine Subgruppe gab, die besonders profitierte. Und die hatten alle eine Transplantation vom selben Spender bekommen“, erklärt Reinshagen das Ergebnis.

Jetzt blicken die Forscher und auch die Patienten gespannt auf die Feinanalyse der Bakterienflora des sogenannten Superspenders. „Aber“, dämpft Reinshagen vorschnelle Hoffnungen, „solange man nicht mehr über die Mechanismen weiß, wie die Fäkaltransplantation wirkt, ist eine Stuhltransplantation für Colitis-ulcerosa-Patienten keine Therapiemöglichkeit.“ Auch wenn sie möglicherweise Potenzial habe.

Ekeltherapie neutral verpackt

Natürlich ist die Vorstellung, fremden Stuhl verabreicht zu bekommen – egal ob als Einlauf, oder per Dünndarmsonde durch die Nase – nicht gerade appetitlich. Der Ekelfaktor ist im Rahmen einer Darmspiegelung zwar deutlich kleiner, aber der Eingriff selbst ist aufwendig. Vielleicht ein weiterer Grund, warum die Methode, obwohl schon seit 1958 bekannt, bisher kaum Karriere machen konnte.

Man sucht daher nach anderen Wegen: Eine Idee ist es, die gereinigten Spenderbakterien in Form von Kapseln in den Dünndarm zu schleusen – insbesondere als Dauertherapie auf jeden Fall leichter anzuwenden. Aber sind “Kotkapseln“ genauso wirksam? Zumindest bei Clostridium difficile scheint das nach ersten Studien so. In einer Untersuchung des Bostoner Spezialisten Dr. Ilan Youngster gesundeten rund 90 Prozent der Patienten, die Kapseln mit tiefgefrorenem Spenderkot schluckten. „Wenn das mal funktioniert und sicher ist, dass keine Nebenwirkungen auftreten, könnte die Methode auch bei uns zugelassen werden“, hofft Reinshagen. „Spannende Aussichten“, findet der Forscher.

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Luise Heine ist seit 2012 Redakteurin bei Netdoktor.de. Studiert hat die Diplombiologin in Regensburg und Brisbane (Australien) und sammelte als Journalistin Erfahrung beim Fernsehen, im Ratgeber-Verlag und bei einem Print-Magazin. Neben ihrer Arbeit bei NetDoktor.de schreibt sie auch für Kinder, etwa bei der Stuttgarter Kinderzeitung, und hat ihren eigenen Frühstücksblog „Kuchen zum Frühstück“.

Quellen:
  • Le Chatelier E. et al. Richness of human gut microbiome correlates with metabolic markers; Nature 500, 541–546 (29 August 2013); doi:10.1038/nature12506
  • Moayyedi P. et al. Fecal Microbiota Transplantation Induces Remission in Patients With Active Ulcerative Colitis in a Randomized Controlled Trial; Gastroenterology 2015; 149; 102-109
  • Reinshagen M.: „Stuhltransplantation“, Bauchredner; 1/2014
  • RKI-Ratgeber für Ärzte: Clostridium difficile (www.rki.de; Abruf 21.07.2015)
  • „Spenderkot heilt Clostridien-Infektion“; Pharmazeutische Zeitung; Ausgabe 05/2013
  • Youngster I. et al: Oral, Capsulized, Frozen Fecal Microbiota Transplantation for Relapsing Clostridium difficile Infection; JAMA. 2014;312(17):1772-1778. doi:10.1001/jama.2014.13875
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