Mann mit Pille für HIV

HIV - die Pille davor

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Ein Medikament, das zuverlässig vor HIV schützt, gibt es schon Jahre. Doch die Hürden für eine breitere Anwendung in Deutschland sind noch immer hoch. Das könnte sich jetzt ändern.

1981 verlor der Sex seine Unbeschwertheit. Damals starben in Kalifornien die ersten Patienten an einer mysteriösen und grausamen Krankheit. Ihre Opfer waren junge Homosexuelle. Und während die Forscher noch nach dem Erreger fahndeten, breitete sich das Virus über den Erdball aus. Und mit ihm die Angst.

Die Angst bleibt

Seit HIV kein Todesurteil mehr ist, hat dieser Schatten an Schrecken verloren. Zumindest in Regionen dieser Welt, in denen die medizinische Versorgung gut ist. In Deutschland haben HIV-Infizierte eine Lebenserwartung, die nahezu der von Nichtinfizierten entspricht. „Aber auch wenn die Angst geringer geworden ist - sie ist nicht weg“, sagt Armin Schafberger, Referent für Medizin und Gesundheitspolitik der Deutschen Aids-Hilfe im Gespräch mit NetDoktor.

Eine HIV-Infektion bedeutet, einen schlummernden Feind in sich zu tragen, den man lebenslang mit Medikamenten unterdrücken muss. Wenn sie jahrelang unbehandelt verläuft, hat das Virus bereits irreparable Schäden hinterlassen. Und nicht zuletzt bedeutet eine HIV-Infektion immer noch ein Stigma.

Safer Sex ist keine Garantie

Auch wer strikt Safer Sex praktiziert, ist nicht automatisch auf der sicheren Seite. Gummis können reißen. Anwendungspannen sind immer drin. Und davon abgesehen: Sex mit Gummi ist eben etwas anderes als ohne. Das Gefummel just in dem Moment, wo es richtig spannend wird. Der sterile Geruch von Latex. Das Gefühl von Gummi auf Haut statt Haut auf Haut. Und Oralsex mit Gummi oder Lecktüchern für die Damen? Sexy ist das nicht.

Ob Frau, ob Mann oder anderes, ob homo, hetero oder bi: Viele kommen mit Safer Sex gut klar. Andere pfeifen darauf und gehen das Risiko ein. Aber dann gibt es solche, für die beides problematisch ist. Deren Erektion zusammenfällt, sobald sie ein Kondom darüberstülpen. Die trotz Kondom die Angst umtreibt. Oder die sich schlicht mehr Intimität wünschen, als es eine Latexhülle zulässt.

Safer Sex in Pillenform

Seit einiger Zeit gibt es eine weitere Option: Safer Sex in Pillenform. Die Kombination zweier Wirkstoffe (Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil) verhindert, dass sich das Virus in Körperzellen vermehren kann. Ursprünglich wurde es als Aidsmedikament unter dem Namen Truvada vom Pharmahersteller Gilead auf den Markt gebracht.

Doch es wirkt auch gegen Erreger, die gerade erst in den Körper eingedrungen sind. Die Infektion wird so im Keim erstickt. Als Pre-Expositions-Prophylaxe, kurz PrEP, bezeichnen Mediziner diese vorbeugende Therapie.

„Unglaublich hohe Schutzwirkung“

„Die Schutzwirkung ist unglaublich hoch, das ist schon faszinierend“, sagt Schafberger. Tatsächlich gibt es weltweit nur vier dokumentierte Fälle, bei denen sich Anwender trotz täglicher Pilleneinnahme infiziert haben. Die HI-Viren, die sie erwischten, waren gegen das Medikament resistent. Demgegenüber stehen aber inzwischen mehrere Zehntausend Menschen, die gesund blieben. „Wenn man ehrlich ist, ist die PrEP sogar sicherer als ein Kondom“, so der Aids-Berater.

Kassen übernehmen die Kosten (noch) nicht

Seit 2016 ist das Mittel auch in Deutschland zu HIV-Prophylaxe zugelassen, seit Oktober 2017 sind Generika für 50 bis 70 Euro pro Monat erhältlich. Zahlen muss man die Tabletten allerdings aus eigener Tasche. Hinzu kommen oft noch die Kosten für regelmäßige Untersuchungen – nicht nur auf HIV, sondern auch auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen wie Tripper, Syphilis oder Hepatitis.

Auch die Nierenfunktion muss regelmäßig getestet werden. „Eine seltene, aber schwerwiegende Langzeitnebenwirkung ist eine Schädigung der Nieren“, erklärt Schafberger. Zwar rechnen manche Ärzte solche Untersuchungen über die Kasse ab. Andere haben jedoch Angst vor Regresszahlungen. Dann kommen für die Anwender schnell weitere 50 bis 100 Euro oder mehr hinzu.

HIV-Schutz auch für Menschen mit wenig Geld

Die Deutsche Aidsgesellschaft fordert, dass das Mittel auch finanziell weniger gut gestellten Menschen zugänglich sein sollte. „Schutz vor HIV darf keine Frage des Geldbeutels sein“, sagt Schafberger. Dabei helfen könnte, dass die PrEP seit Kurzem offiziell in den deutschen und österreichischen Leitlinien zu HIV-Infektion als offizielle Präventivoption geadelt wurde - für alle Personen mit hohem Infektionsrisiko. Inzwischen hat sich auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dafür ausgesprochen, dass die PrEP für Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko Kassenleistung wird.

Kein Schutz vor Tripper, Syphilis & Co.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Vor allem, weil die PrEP - anders als ein Kondom - nicht vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützt. Schafberger sieht das gelassen: „HIV ist eine Erkrankung, die das ganze Leben nicht mehr verschwindet. Das ist für uns eine andere Liga als Krankheiten, die man mit ein paar Tabletten oder Spritzen wieder los wird.“

Möglicherweise könne die PreP zudem die Ausbreitung von Tripper und Syphilis und Co sogar eindämmen helfen – einfach aufgrund der Tatsache, dass sich die Anwender regelmäßig darauf testen lassen müssen. Ohne Untersuchung gibt es nämlich kein Folgerezept. „Ob das allerdings wirklich funktioniert und auch andere sexuell übertragbare Krankheiten durch die PrEP seltener werden, wird sich erst in einigen Jahren zeigen“, sagt Schafberger.

PrEP auf Zeit

Manchen erscheint zudem merkwürdig, als gesunder Mensch ein Medikament einzunehmen, nur um zu verhindern, im Falle einer Infektion dasselbe Medikament einnehmen zu müssen. Schafberger sieht das anders: „Mit HIV muss man noch ein weiteres Medikament einnehmen – und man hat für den Rest seines Lebens den Erreger in sich.“

Die PrEP würden die meisten Anwender zudem wohl nicht über Jahrzehnte schlucken. „Die ist in bestimmten Lebensphasen aktuell, aber irgendwann später wieder überflüssig“, so der Aids-Berater. Manche nehmen die Pillen sogar nur zu bestimmten Anlässen sowie einige Tage zuvor und danach. Dafür ist das Medikament allerdings nicht zugelassen, und wie gut es dann wirkt, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Rückkehr zur freieren Liebe?

Wird die PrEP das Liebesleben in Deutschland wieder freier machen? „Für den Einzelnen schon. Aber ob sich in der Szene grundsätzlich etwas ändert, wissen wir erst in ein paar Jahren“, sagt der Aids-Berater. Untersuchungen aus den USA und Frankreich, wo die PrEP schon länger erhältlich ist, zeigen, dass längst nicht jeder, der riskanten Sex hat, auch die PrEP nutzt.

Und das, obwohl die Medikamente dort sogar kostenlos abgegeben werden. Dort, aber auch in Deutschland, seien die Anwender fast durch die Bank gut informiert und gebildet, berichtet Schafberger. Sozial Schwache seien den Medikamenten gegenüber weniger aufgeschlossen. Der Aids-Experte sagt: „In den USA hat man sogar irgendwann Werbung an Bushaltestellen gemacht, um die Leute zu erreichen.“

Auch bei uns hätten bislang keine Horden die Arztpraxen gestürmt. Immerhin: Seit die kostengünstigeren Generika auf dem Markt sind, ist die Zahl der Anwender hierzulande auf 4500 gestiegen. Das ergab jüngst die "PRIDE-Studie" zur PrEP-Nutzung in Deutschland. Wissenschaftler der Erasmus Universität Rotterdam wiederum rechnen vor, dass die PrEP bis 2030 bis zu 9000 HIV-Infektionen allein in Deutschland verhindern könnte.

Keine attraktive Kundschaft

Dennoch haben viele Interessierte Schwierigkeiten einen Arzt oder eine Ärztin zu finden, der oder die ihnen die PrEP verordnet. „PrEP-Anwender sind keine attraktiven Kunden." Der Beratungsaufwand ist hoch, eine entsprechende Vergütung gibt es dafür von der Kasse nicht. Wenn Minister Spahn Nägel mit Köpfen macht, dürfte sich das bald ändern. Schafberger empfiehlt Interessierten derweil, sich an die regionalen Aids-Beratungsstellen zu wenden: „Die wissen in der Regel, wer ihnen die PrEP verschreibt“.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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