Augeninnendruckmessung

Strom für die Augen

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

Alle NetDoktor.de-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Wenn Personen und Gegenstände aus dem Gesichtsfeld wie ausradiert erscheinen, steckt möglicherweise Grüner Star dahinter. Gegen den Verlust der Sehkraft lässt sich bei ihnen im fortgeschrittenen Stadium nur wenig tun. Aber nun gibt es Hoffnung: Eine Wechselstrom-Therapie scheint die Sehbehinderung, zumindest teilweise, rückgängig machen zu können.

Zwischen Linse und Hornhaut zirkuliert im menschlichen Auge das Kammerwasser. Es versorgt die Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen. Beim Glaukom - wie der Grüne Star auch bezeichnet wird - fließt das Kammerwasser nicht richtig ab. Die Folge: Der Druck im Augeninneren steigt. Er schnürt die Blutgefäße ab, die die Nervenzellen im Sehnerv versorgen. Hält dieser Zustand für längere Zeit an, sterben die Nerven ab. Der Mensch sieht zunehmend schlechter.

Die kaputten Nervenzellen lassen sich nicht mehr wiederbeleben. Aber die übrigen, die noch gesund oder nur leicht geschädigt sind, kann man durch einen Trick zu Höchstleistungen anspornen. „Leichte Wechselstromimpulse aktivieren die Nervenzellen“, erklärt Professor Bernhard Sabel von der Universität Magdeburg gegenüber NetDoktor.

Kommunikation stärkt Verbindungen

Dahinter steckt ein einfaches Prinzip: Im Gehirn gibt es Milliarden von Nervenzellen, die miteinander verknüpft sind. Sie kommunizieren, indem sie elektrische Signale an eine benachbarte Nervenzelle weiterleiten. Wenn zwei Nervenzellen besonders viel miteinander sprechen, verstärkt sich die Verbindung zwischen ihnen. „Sie reagieren dann bereits, wenn nur wenig Information ankommt“, so Sabel.

Genau dieses Phänomen machen sich Sabel und seine Kollegen für die Stromtherapie zunutze, die sie nun in einer klinischen Studie untersucht haben. Die Stromimpulse sorgen dafür, dass die Nervenzellen vermehrt miteinander kommunizieren. „Sie wirken wie eine Art Signal zum Feuern für die Nervenzellen“, sagt der Wissenschaftler. Dadurch werden die Zellen hochaktiv und leiten auch schwache Signale an die nächste Zelle weiter. Der Strom weckt zudem leicht beschädigte Zellen auf, die eine Art Winterschlaf halten. „Weil es ihnen nicht so gut geht, nehmen sie am regen Informationsverkehr im Gehirn nicht mehr teil – außer sie werden dazu angeregt.“

Nervenjogging auf der Couch

Die Nervenzellen im Sehzentrum könnte man auch aktiv stimulieren – durch ein konsequentes Sehtraining. „Dazu muss man aber viele Monate jeden Tag eine Stunde üben“, sagt Sabel. Gerade ältere Patienten könnten das aber oft nicht mehr leisten, weil es einfach zu anstrengend für sie sei. „Die Stromtherapie ist da eine viel einfachere und effektivere Methode.“

Und sie hat noch einen zusätzlichen Effekt: Sie koordiniert die Hirnströme im Sehzentrum. Diese kann man sich als Wellen vorstellen. Trifft ein Wellenberg auf ein Wellental, löschen sie sich gegenseitig aus. Durch den Stromimpuls laufen die Berge dieser Wellen aber paralleler und verstärken sich. „So ist es möglich, dass ein schwaches Licht, dass der Patient sonst nicht mehr  bewusst wahrnehmen würde, wieder ein Signal im Gehirn erzeugt und er es trotz Glaukom wieder sieht“, so Sabel.

Lichtpunkte im Nebel

Insgesamt 82 Patienten mit Grünem Star in einem fortgeschrittenen Stadium haben an Sabels Studie teilgenommen. Zehn Tage lang bekamen sie kurze Stromimpulse über Elektroden, die auf die Haut rund um das Auge herum aufgesetzt waren. Die Hälfte erhielt die richtige Therapie, mit einer Frequenz von acht bis 25 Hertz. Der anderen Hälfte wurde nur ein Puls pro Minute gesetzt. Sie diente als Kontrollgruppe, denn diese Stimulation dürfte nahezu keinen Effekt haben.

Anschließend überprüften Sabel und seine Kollegen die Sehfähigkeit der Patienten sowie ein weiteres Mal nach zwei Monaten. Die Patienten mussten dazu auf einen Knopf drücken, sobald sie einen Lichtpunkt auf einem grauen Hintergrund wahrnehmen konnten.

Verbesserung um ein Viertel

Das Ergebnis war vielversprechend: Die Sehfähigkeit der Patienten, die die Wechselstromtherapie bekommen hatten, verbesserte sich fast um ein Viertel, bei der Kontrollgruppe nur um 2,5 Prozent. In den Gesichtsfeldbereichen, die bereits besonders stark von der Augenerkrankung betroffen waren, steigerte sich das Sehvermögen sogar um 59 Prozent.

Die Fortschritte blieben auch zwei Monate nach der Therapie erhalten. Ob die Augen auch langfristig profitieren, haben Sabel und seine Kollegen noch nicht systematisch untersucht. „Manche Patienten berichten, dass sie auch nach drei Jahren noch besser lesen können, bei anderen baute sich der Effekt langsam wieder ab.“ Die Vermutung des Wissenschaftlers: Nutzt der Patient die Verbesserung auch im Alltag, bleibt sie erhalten, weil die Schaltkreise im Gehirn immer wieder aktiviert werden. „Das ist wie bei einer Fremdsprache, wenn Sie die im Urlaub oder im Beruf brauchen, vergessen Sie die Vokabeln auch nicht wieder.“

Quelle: Sabel B. A. et al.: Alternating Current Stimulation for Vision Restoration after Optic Nerve Damage: A Randomized Clinical Trial.PLOS ONE, June 29, 2016 DOI: 10.1371/journal.pone.0156134

Im Savir-Center in Magdeburg wird die Wechselstromtherapie für Glaukom-Patienten bereits durchgeführt.

Autoren- & Quelleninformationen

Jetzt einblenden
Datum :
Autor:
Andrea Bannert
Dr.  Andrea Bannert

Dr. Andrea Bannert ist seit 2013 bei NetDoktor. Die promovierte Biologin und Medizinredakteurin forschte zunächst in der Mikrobiologie und ist im Team die Expertin für das Klitzekleine: Bakterien, Viren, Moleküle und Gene. Sie arbeitet freiberuflich zudem für den Bayerischen Rundfunk und verschiedene Wissenschaftsmagazine und schreibt Fantasy-Romane und Kindergeschichten.

ICD-Codes:
H42H40Q15
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Teilen Sie Ihre Meinung mit uns
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie NetDoktor einem Freund oder Kollegen empfehlen?
Mit einem Klick beantworten
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
0 - sehr unwahrscheinlich
10 - sehr wahrscheinlich