Senioren im Park

Cross-over-Spende: Blind Date für zwei Nieren

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Der Mensch kann mit nur einer Niere gut leben. Daher besteht die Möglichkeit, eines der Organe auch lebend zu spenden. In Deutschland dürfen das nur enge Familienmitglieder und Vertraute. Doch was, wenn Spender und Empfänger nicht zusammenpassen? Bei Monika und Günther Breuer* war genau das der Fall. Wie Monika doch noch zu einer neuen Niere kam, erzählen wir hier.

„Bei über 90 Prozent der Paare ist die Lebendspende einer Niere oder eines Teils der Leber heute möglich“, sagt Prof. Christine Kurschat, Oberärztin an der Uniklinik Köln im NetDoktor-Gespräch. „Bei den übrigen Paaren besteht das Problem meist darin, dass der Empfänger Antikörper gegen das Gewebe des Spenders entwickelt hat. Wenn man dann transplantiert, fährt das Immunsystem richtig hoch und stößt das Transplantat ab.“

Nieren voller Zysten

Auch bei Monika und Günther Breuer* war genau das ein Hindernis. „Als Frau Prof. Kurschat mir sagte, es täte ihr furchtbar leid, aber mein Mann käme als Spender für mich nicht infrage - das war schon ein ziemlicher Schock“, berichtet sie im Gespräch mit NetDoktor. Monika leidet unter einer familiären Zystenniere. Dabei bilden sich in den Nieren im Laufe des Lebens immer mehr und größere Zysten – weshalb die Organe immer schlechter arbeiten.

Ihr Mann erzählt: „Monika stand schon kurz vor der Dialyse und war zunehmend erschöpft. Wir haben uns so eine Ambulanz angeschaut und wussten, was da auf meine Frau zukommen würde. Alle drei Tage stundenlang zur Blutwäsche – das wäre eine große Belastung für meine Frau und somit auch für mich geworden.“ Berufstätigkeit, Familie, Ehrenämter, Hobbies – das alles wäre nur noch eingeschränkt möglich gewesen.

Spenden überkreuz

Doch ihre Ärztin gibt so schnell nicht auf. Sie hat einen Pool von rund 40 Spender-Empfänger-Paaren aufgebaut, die ebenfalls nicht zueinanderpassen. Sie hofft, dem Ehepaar aus der Eifel mit einer sogenannten Cross-over- oder Überkreuzspende helfen zu können.

Die ebenso einfache wie geniale Idee hinter dem Verfahren: Wenn zwei Patienten einen spendenwilligen Angehörigen haben, der aber nicht „matched“, wird ein anderes Paar in derselben Situation gesucht, bei dem die biologischen Voraussetzungen für eine gegenseitige Spende gegeben sind. Und die Nierenfachärztin wird tatsächlich fündig: Volker und Susanne Petersen*.

Paartausch für die Transplantation

Bei dem Ehepaar aus Bremen ist das Lebendspendenproblem etwas anders geartet. Volker bräuchte ebenfalls eine neue Niere, aber seine Blutgruppe und die seiner Frau sind nicht kompatibel. „In den meisten Fällen lässt sich das heute lösen“, erklärt Kurschat. Denn inzwischen kann man blutgruppenbedingte Antikörper vor der Spende aus dem Blut des Empfängers auswaschen. „AB0-inkompatible Lebendspende“ nennt sich das Verfahren. Bei einem von sieben Paaren gelingt das jedoch nicht. Aber Susanne kommt als Spenderin für Monika infrage, und Günther passt zu Volker.

Ketten von 30 Lebendspenden

In Ländern wie den Niederlanden, Österreich, Spanien und den USA könnte nun problemlos eine Cross-over-Lebendspende angebahnt werden. Dort seien ganze Tauschketten mit bis zu 30-Spender-Empfänger-Paaren möglich. Als die Ärztin das berichtet, klingt sie ein wenig sehnsüchtig.

Denn das deutsche Transplantationsgesetzt schiebt dem hierzulande einen Riegel vor: Es schreibt für Lebendspenden fest, dass zwischen Spender und Empfänger eine tiefe persönliche Bindung bestehen muss. Infrage kommen somit fast ausschließlich enge Angehörige und Freunde. So soll verhindert werden, dass Organe insgeheim verkauft statt gespendet werden.

Voraussetzung ist die enge Bindung

Wie das Gesetz genau ausgelegt wird, ist allerdings Ländersache. In Nordrhein-Westfalen, wo Kurschat ihre Patienten betreut, reicht es, wenn sich die Paare ein paarmal vor dem Eingriff treffen – und glaubhaft machen können, dass eine vertrauensvolle Bindung entstanden ist.

Und so sind auch Monika und Günther ins Auto gestiegen, um Susanne und Volker bei Lübeck zu treffen. „Wir waren ziemlich aufgeregt“, berichtet Monika. „Das war wie bei einem Blind Date!“ Günther berichtet, er sei froh gewesen, sich den Empfänger seiner Niere vorab anschauen zu können. „Ich wollte ja nicht, dass die an jemanden geht, der sie dann nicht verantwortungsvoll behandelt“, sagt er.

„Liebe auf den ersten Blick“

Doch als man sich schließlich im Hotelrestaurant trifft, sind alle Zweifel sofort verflogen. „Das war Liebe auf den ersten Blick!“, sagt Monika. Bei einem Treffen bleibt es nicht: „Um die Ethikkommission im Krankenhaus zu überzeugen, mussten wir uns öfter treffen. Schließlich mussten wir zeigen, dass ein Vertrauensverhältnis besteht.“

Auch über die Spende hinaus halten die beiden Paare Kontakt, man telefoniert regelmäßig und schickt sich Fotos, geht zusammen wandern. Zum Jahrestag der Transplantation treffen sie sich regelmäßig im November wieder – außer in diesem Jahr, wegen der Coronavirus-Pandemie. „Das war immer eine Freude. Wir teilten doch das gleiche Schicksal. So konnten wir uns austauschen“, erzählt Monika.

Eine Datenbank für den „Partnertausch“

Um mehr Betroffenen dieselbe Chance wie Monika und Volker zu ermöglichen, würde Nephrologin Kurschat gern ein bundesweites Spendenregister aufbauen. „Patienten, die Gewebsantikörper entwickeln, haben davon meist viele im Blut. Da jemanden zu finden, der trotzdem passt, ist nicht so leicht“, sagt sie. Je größer der Pool, desto größer die Wahrscheinlichkeit, einen Spender zu finden.

Die erforderlichen Daten zu erheben und abzugleichen, bedeutet allerdings einen hohen logistischen Aufwand. „Man muss die Oberflächenmerkmale matchen, und das ist nicht so einfach von Hand zu machen. Um die passendsten Paare rauszusuchen, braucht man ein entsprechendes Computerprogramm“, sagt die Nierenfachärztin.

Vorteilhaft wäre zudem, wenn auch in allen anderen Bundesländern Cross-over-Spenden möglich wären. Doch die meisten legen die Bedingungen für eine Lebendspende strenger aus. Ein gemischtes Doppel wie Günter und Monika und Susanne und Volker wäre dort nicht möglich. „Wenn vier erwachsene Menschen sich einig sind und das wollen, dann kann ich nicht begreifen, dass man ihnen einen solchen Eingriff verweigert“, sagt Monika.

Auch sie selbst kam nur per Zufall zur Cross-over-Spende: Ihre Schwester gab ihr den Tipp, sich eine Informationsveranstaltung zur Lebendspende in der Kölner Uniklinik anzuschauen. Dort traf sie auf Prof. Kurschat. „Sonst wäre ich heute auf eine Dialyse angewiesen. Ein Glücksfall.“

Lebendspenden oft erfolgreicher

Wegen des Restrisikos der Transplantation für den gesunden Spender werden in Deutschland nach wie vor bevorzugt Organe Verstorbener transplantiert – obwohl die Lebendspende häufiger erfolgreich verläuft. Denn die Spender müssen weitgehend gesund sein und das Organ kann unverzüglich nach der Entnahme eingesetzt werden. „Wir haben schon den Fall gehabt, dass wir jemanden für die Lebendspende vorbereitet hatten, aber dann ein passendes Organ eines Verstorbenen von Eurotransplant bekommen haben“, berichtet Kurschat.

Was allerdings bedeutet, dass das Organ aufgrund der deutschen Gesetzeslage automatisch für einen anderen Nierenkranken wegfällt, der keinen Lebendspender an seiner Seite hat. Im Jahr 2019 standen den rund 10.000 Menschen auf der Warteliste nur 932 Organspender und -spenderinnen gegenüber. „Die meisten schwer Nierenkranken warten rund acht Jahre auf ein Organ“, so Kurschat. Viele sind am Ende so krank, dass sie als Empfänger nicht mehr infrage kommen.

Eine schöne Niere für Monika

Für Günther war es selbstverständlich, für seine Frau eine Niere herzugeben – auch wenn die schließlich in Volkers Körper landete. „Dafür habe ich jetzt die von Susanne“, sagt Monika. „Die Ärzte sagen mir immer, das sei ein besonders schönes Exemplar. Aber Susanne ist ja auch eine besonders schöne Frau“, sagt sie und lacht.

Damit zukünftig mehr Menschen von Lebendspenden profitieren können, werben die Breuers für die Cross-over-Spende. „Das liegt uns wirklich extrem am Herzen!“, sagt Monika. „Da muss doch was getan werden!“ Sie selbst und ihr Mann seien unglaublich dankbar dafür, dass ihnen engagierte Menschen wie Prof. Kurschat die Cross-over-Spende ermöglicht haben. „Aber da sind noch so viele, die auf eine Dialyse angewiesen sind und vielleicht vergeblich warten.“

*Diese Namen wurden auf Wunsch der Gesprächspartner geändert

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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