E-Zigarette; Rauchen

Rauchstopp mit Dampf-Krückstock

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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E-Zigaretten sind umstritten. Noch weiß keiner, wie sich das Dampfen langfristig auf die Gesundheit auswirkt. Andererseits bieten sie Millionen Rauchern die Chance, vom Glimmstängel loszukommen – auch solchen, die es sonst wohl nicht schaffen würden. Ein Erfahrungsbericht.

Die erste Zigarette qualmt Katharina* mit zwölf. Eine Camel, gleich auf Lunge. Schließlich geht es darum, cool zu sein. Schlecht wird ihr dabei und schwindelig. „Aber ich hab auch sofort diesen Kick gespürt“, sagt die zierliche blonde Hamburgerin im Gespräch mit NetDoktor.

Ein solcher erster Kick ist häufig der Einstieg in eine Suchtkarriere. Inhaliert erreicht Nikotin in Sekunden das Gehirn, wo es unmittelbares Wohlgefühl auslöst. Der Suchtstoff beruhigt, gleichzeitig macht er wach und fokussiert.

Klassenfahrt in die Sucht

Auf einer Klassenreise geht es richtig los. Katharina, inzwischen 15, raucht bald eine Schachtel täglich. Es sind die 80er-Jahre. Taschengeldtaugliche drei Mark kostet das Päckchen Zigaretten. In der Disco, in den Kneipen, im Restaurant – überall wabert blauer Dunst. Noch ist der Marlboro-Cowboy nicht an Lungenkrebs gestorben. Eltern qualmen ihre Kinder während der Autofahrt voll. Lehrer rauchen im Lehrerzimmer. „Man wusste schon, dass Rauchen schädlich ist – irgendwie“, erzählt die heute 50-Jährige. „Aber man hat es verdrängt.“

Hochgradig nikotinabhängig

Während sie an ihrer literaturwissenschaftlichen Magisterarbeit schreibt, steigt Katharinas Ration auf zwei Schachteln am Tag. Ihre erste Tat des Tages ist der Griff zur Zigarette. Damit gehört sie zu jenen Rauchern, die besonders schwer abhängig sind. Nach und nach haben sich immer mehr Rezeptoren in ihrem Gehirn ausgebildet, an die Nikotin andocken kann. Die für die Wirkung benötigte Dosis wird größer. Und je früher ein Mensch mit dem Rauchen beginnt, desto fester verankert sich die Sucht im Nervensystem.

„Der Gedanke, ohne Zigaretten auszukommen, war für mich nicht vorstellbar“, berichtet Katharina. Trotzdem probiert sie es immer wieder – und scheitert jedes Mal. Sogar als sie schwanger ist, qualmt sie noch fünf am Tag – „mit fürchterlich schlechtem Gewissen“. Doch die Sucht ist stärker. Dann kommt der 1. März 2015. Die Mutter zweier Kinder hat zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre lang am Glimmstängel gehangen. Dann gibt sie die Zigaretten auf. Von heute auf morgen.

Rauchstopphilfe aus dem Reich der Mitte

„Mit Rauchen aufzuhören bedeutet leiden“, sagt der chinesische Pharmazeut Hon Lik in einem Interview mit der Onlineausgabe der britischen Zeitung „The Spectator“. Auch er rauchte wie Katharina lange Zeit zwei Schachteln täglich. Sein Vater stirbt an Lungenkrebs. Hon versucht aufzuhören. Erst setzt er auf kalten Entzug, dann probiert er es mit Nikotinpflastern. Auch er scheitert. Wieder und wieder. „Es fehlte ganz einfach der Nikotinflash und das Gefühl beim Inhalieren!“, sagt Hon.

Dann kommt ihm eine Idee: „Ein Dampf, der wie Zigarettenrauch Nikotin enthält, aber nicht so schädlich für den Organismus ist.“ 2001 entwickelt er die erste E-Zigarrette. Das Modell Nr. 1 ist noch eine monströse Apparatur.

14 Jahre später und fast 8.000 Kilometer Luftlinie entfernt kommt Katharina mithilfe von Hons Erfindung endlich von den Zigaretten los. E-Zigaretten sind inzwischen auch in Deutschland überall erhältlich. Die restriktiven Rauchverbote haben ihnen den Boden bereitet. Rauchen gilt inzwischen als uncool, Raucher werden zunehmend mit Mitleid und Abscheu beäugt. „Man fühlt sich richtig armselig“, sagt die Ex-Raucherin.

Mit der Sauerstoffflasche zum Bäcker

Auch in ihr wächst der Widerwille gegen den eigenen Konsum. Hinzu kommen gesundheitliche Beschwerden. Eine schlimme Bronchitis, die einfach nicht weggehen will, versetzt sie in Angst und Schrecken. „Ich habe gefürchtet, das ist der Beginn einer COPD“, berichtet sie. Was diese Lungenkrankheit bedeutet, hat sie mit der eigenen Mutter vor Augen: Nach Jahrzehnten des Rauchens schafft diese aus Luftnot kaum noch eine Treppe, morgens quält sie Husten fast bis zum Erbrechen. „Was dann kommt, sehe ich hier bei uns im Viertel, wo sich Leute mit der Sauerstoffflasche zum Bäcker schleppen.“ Trotz aller abschreckenden Beispiele und gesundheitlicher Warnschüsse sagt Katharina heute: „Ohne die E-Zigaretten hätte ich es nicht geschafft.“

Schnuller für Erwachsene

Denn es ist nicht die körperliche Abhängigkeit vom Nikotin, die das größte Problem darstellt. Auch wenn sie im Gehirn gespeichert bleibt, ist der körperliche Entzug nach ein paar Tagen geschafft. „Es ist das Ritual, das einem fehlt“, sagt Katharina. Heute beruhigt sie in ihrem stressigen Job als freie Lektorin der Griff zur E-Zigarette so, wie es einst die kokelnden Glimmstängel taten. Das funktioniert, obwohl sie längst auf reines Glyzerin umgestiegen ist - ganz ohne Nikotin und Aromastoffe. „Es ist die orale Befriedigung, um die es geht, wie der Schnuller für ein Kind.“

Experten im Zwiespalt

Experten allerdings betrachten die E-Zigaretten mit gemischten Gefühlen. Denn gesund ist auch das Dampfen nicht. Da ist natürlich das süchtig machende und hochgiftige Nikotin. Doch auch nikotinfreie Produkte sind nicht unbedenklich: Sie enthalten unter anderem Propylenglycol, das die Atemwege reizen kann. Die zugefügten Aromen sind zudem zwar allesamt für die Lebensmittelproduktion freigegeben. Doch macht es eben einen Unterschied, ob man etwas mit der Nahrung aufnimmt, oder ständig inhaliert. Und dann sind da noch die krebserregenden Substanzen, die man in manchen Liquids gefunden hat. Wie schädlich E-Zigaretten tatsächlich sind, wird sich somit erst anhand von Langzeitbeobachtungen klären lassen.

Noch mit 70 Treppen steigen

Bei allen Bedenken herrscht jedoch Konsens über eines: E-Zigaretten sind um ein Vielfaches unschädlicher als Tabakprodukte. Das hat Katharina am eigenen Leib erfahren: „Ich bin viel seltener krank als früher“, sagt sie. Nicht nur Atemwegsinfekte fängt sie sich seltener ein – und wird dann schneller wieder gesund. Auch das Reizdarmsyndrom, unter dem sie leidet, hat sich erheblich gebessert. Ihr größtes Geschenk: „Das Glück, von den Zigaretten weg zu sein. Nicht mehr nach Rauch zu stinken. Fit zu sein. So habe ich gute Chancen, auch mit 70 noch die Treppe hochzukommen und mit meinen Enkeln zu spielen.“

Das Bundesamt für Risikobewertung (BFR) empfiehlt die E-Zigarette als Rauchstopphilfe allerdings nicht: „Es fehlen klinische Studien, die die Wirksamkeit belegen“, heißt es dort. Aber auch im nächsten Satz: „Das BfR schließt nicht aus, dass tabakabhängige Raucher in einigen Fällen von E-Zigaretten profitieren könnten.“

Die zwei Seiten der Medaille

Tatsächlich könnten die dampfenden Stäbe für Raucher, die den Abschied vom Glimmstängel anders nicht schaffen, eine echte Alternative sein. Mehr als 20.000 Briten hätten mit ihrer Hilfe den Rauchstopp geschafft, errechneten jüngst Forscher des University College in London – und zwar zusätzlich zu jenen, die es auch ohne diese Hilfe geschafft haben.

Es bleibt natürlich die Sorge, dass die Dampfer Nikotinkonsum wieder salonfähig machen. Dass die aromatisierten Liquids insbesondere Jugendliche anlocken und ihnen schaden. Dass diese dann schlimmstenfalls irgendwann von Dampf auf Tabakrauch umsteigen. Doch demgegenüber stehen Gesundheit und Leben von aktuell 20 Millionen Rauchern allein in Deutschland.

„Wenn du es anders nicht schaffst, dann probier es damit“, hat Katharinas Ärztin zu ihr gesagt – auch wenn E-Zigaretten vielleicht nur das kleinere Übel sind. Katharina zumindest ist heute überzeugt: „E-Zigaretten sind ein guter Krückstock. Ich habe den Tabak nie mehr vermisst."

* Name von der Redaktion geändert

Quellen:

Fragen und Antworten zur E-Zigarette, www.bfr.bund.de, Abruf 01.04.2016

West R. et al.: Estimating the population impact of e-cigarettes on smoking cessation in England Addiction. 2016 Feb 26. doi: 10.1111/add.13343.

Deutsches Krebsforschungszentrum, www.dkfz.de; Abruf 01.04.2016

‘Quitting is suffering’: Hon Lik, inventor of the e-cigarette, on why he did it, The Spectator, 20.07.2015

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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